Zürcher Modell der sozialen Motivation

 

[engl. Zurich model of social motivation], [EM, EW, SOZ], von Bischof (1985, 1993) entwickeltes kybernetisches Motivationsmodell. Das Zürcher Modell der sozialen Motivation basiert auf entwicklungspsychol. und ethologischen Befunden und stellt im Grunde eine Formalisierung und Ausdifferenzierung der Bindungstheorie dar. Es beschreibt drei Motivsysteme (Sicherheit, Erregung und Autonomie), die als Regelkreise konzipiert sind. Ein Motiv wird dementsprechend als Sollwert aufgefasst, der mit einem durch best. Detektoren gemeldeten Istwert verglichen wird. Ist der Istwert kleiner als der Sollwert, entsteht eine Appetenz, ist der Istwert größer als der Sollwert, eine Aversion (aversiver Reiz). In beiden Fällen folgt motivspezif. Verhalten, das den Ist- an den Sollwert angleichen soll.

Das Sicherheitssystem regelt den Umgang mit Vertrautem. Seinen Istwert stellt das momentane Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit dar, das umso größer ist, je näher, vertrauter und relevanter ein Gegenüber ist, wobei ranghohe Artgenossen als bes. relevant gelten. Der Prototyp eines Sicherheitsspenders wäre demnach eine Mutter, die ihr Kind auf dem Schoß hält. Der Sollwert dieses Systems ist das angestrebte Ausmaß an Sicherheit und wird Abhängigkeit genannt. Da von den drei Eingangsvariablen (Nähe, Vertrautheit und Relevanz) einzig die Nähe unmittelbar beeinflusst werden kann, besteht das motivspezifische Verhalten aus einer Distanzregulation: Bei einer Appetenz zeigt man Bindungsverhalten und nähert sich dem Gegenüber an, bei einer Aversion kommt es zu Überdruss und einer Vergrößerung der Distanz. Dies muss allerdings nicht physisch geschehen, sondern kann auch über Distanzäquivalente wie z. B. Blickkontakt erfolgen. Im Entwicklungsverlauf bildet sich das Sicherheitssystem als erstes der drei Systeme aus. Dass es seine volle Funktionsfähigkeit erreicht hat, erkennt man am Auftreten der Trennungsangst. Danach nimmt die Abhängigkeit stetig ab, erreicht in der Pubertät bei der Ablösung von den primären Bezugspersonen ihren Tiefpunkt und nimmt anschließend wieder leicht zu, sodass man bereit ist, neue Bindungen einzugehen.

Das Erregungssystem regelt demgegenüber den Umgang mit Fremdem. Den Istwert bildet hier ein Gefühl der Erregung, das von Interesse und Neugier bis hin zu Furcht reichen kann. Dieses Gefühl hängt wiederum von der Relevanz und der Nähe des Gegenübers ab; statt der Vertrautheit ist hier aber die Fremdheit ausschlaggebend. Der Sollwert im Erregungssystem ist das angestrebte Ausmaß an Erregung und wird Unternehmungslust genannt. Auch hier resultiert das motivspezifische Verhalten in einer Distanzregulation i. w. S.: Im Falle einer Appetenz zeigt man zur Steigerung der Erregung diversives Neugierverhalten und exploriert das Gegenüber (Exploration). Auch bei einer Aversion kann zuerst noch Neugierverhalten auftreten, hier aber spezif. Wird die Aversion zu groß, kommt es jedoch zu Furcht und Flucht. Das Erregungssystem erreicht seine Funktionsfähigkeit mit dem Einsetzen der eigenständigen Fortbewegung und dem Auftreten der Fremdenreaktion (ugs. Fremdeln). Danach verhält sich die Unternehmungslust gegenläufig zur Abhängigkeit, nimmt bis zur Pubertät zu und danach wieder leicht ab. Das Autonomiesystem bestimmt die Position des Individuums in einer sozialen Ranghierarchie. Den Istwert bildet hier das momentane Autonomiegefühl, das mit einem Gefühl von Macht, Einfluss, Anerkennung, Freiheit, Leistung, Kompetenz usw. umschrieben werden kann. Dieses Gefühl wird durch Erfolge und Misserfolge bei der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse bestimmt und wiederum mit einem Sollwert, dem Autonomieanspruch, verglichen. Appetenzen und Aversionen können hier zu sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen führen, prototypisch sind aber assertives (drohendes, aggressives) Verhalten bei einer Appetenz und submissives (unterwürfiges) Verhalten bei einer Aversion. Dass das Autonomiesystem seine Funktionsfähigkeit erreicht hat, zeigt sich in der Trotzphase. Danach steigt auch der Autonomieanspruch bis zur Pubertät stetig an und übernimmt in gewisser Weise die Führungsposition der drei Sollwerte, indem er die Unternehmungslust pos. und die Abhängigkeit neg. beeinflusst.

Kann ein motivspezif. Verhalten nicht ausgeführt werden, da es durch ein inneres oder äußeres Hindernis blockiert wird, kommt es zu unspezif. Copingverhalten. Hier werden drei von außen sichtbare Strategien, Invention (Umgehung des Hindernisses), Aggression (Zerstörung des Hindernisses) und Supplikation (Bitte um Hilfe) sowie zwei innere Strategien, Revision (Veränderung der Wahrnehmung) und Akklimatisation (Anpassung des Sollwerts an den Istwert), unterschieden. Dabei kommt der Akklimatisation ein besonderer Stellenwert zu, da diese die Sollwerte auch langfristig verändern kann. So kann z. B. ein überbehütendes Umfeld zur Ausbildung einer abhängigen, ängstlichen und wenig autonomen Persönlichkeit führen oder umgekehrt ein zu distanziertes Umfeld die Entwicklung einer hoch autonomen, risikofreudigen und wenig bindungsfähigen Persönlichkeit begünstigen.

Referenzen und vertiefende Literatur

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