Wundt, Wilhelm

 

(1832–1920), [HIS, PHI], 1856 Promotion zum Dr. med. an der Universität Heidelberg, 1857 Habilitation und Privatdozent für Physiologie, 1858–1863 Assistent von Herman von Helmholtz, 1864 ao. Prof. für Anthropologie und Med. Ps., 1874 o. Prof. für induktive Philosophie an der Universität Zürich, 1875–1917 Prof. für Philosophie an der Universität Leipzig, 1889–1890 Rektor. Ehrenbürger von Leipzig und Mannheim, Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste, Dr. h.c. Leipzig und Göttingen, Ehrenmitglied in 12 wiss. Gesellschaften sowie Mitglied von 13 Akademien im Inland und Ausland, kein Mitglied oder Ehrenmitglied der 1904 gegründeten dt. Gesellschaft für exp. Ps. (heute Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs)).

Wundt gründete 1879 das erste Institut für Ps. mit einem systematischen Forschungsprogramm, zunächst als Privateinrichtung, seit 1882 mit Sachmitteln und seit 1883 mit eigenen Räumen für das Institut für exp. Ps. der Leipziger Universität. In zwei neuen Zeitschriften wurden die Arbeiten des Leipziger Instituts bekannt gemacht: Philosophische Studien (von 1881 bis 1902) und Psychologische Studien (von 1905 bis 1917). Wundt gilt als Begründer der eigenständigen Disziplin Psychologie und als Mitbegründer der Völkerpsychologie (Kulturpsychologie). In seiner Heidelberger Zeit arbeitete Wundt als exp. Neurophysiologe, beobachtete jedoch in der Sinnesphysiologie Sachverhalte, die psychol. Erklärungen verlangten. Die Wendung zum Experimentalpsychologen bedeutet keineswegs, dass er Ps. als Naturwiss. def. Die exp. Methodik soll zwar – wie in der Psychophysik – gründlich genutzt werden, doch stützt sich die Ps. auch auf die Entwicklungsgeschichte der Seele und auf die vergleichende Ps. Die Im Jahre 1863 publizierten Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele enthalten bereits alle hauptsächlichen Interessengebiete: die Allgemeine Psychologie, die Kulturps., die Tierps., die Neuropsychologie, die ErkenntnistheorieEthik und Philosophie. Diese Programmatik des 30-jährigen Wundt wird zu einem nahezu sechs Jahrzehnte währenden Forschungsprogramm ausgestaltet. Wundts Autobiografie, Erlebtes und Erkanntes, spiegelt den ideengeschichtlichen Kontext: Gottfried Wilhelm Leibniz, Immanuel Kant, indirekter Hegel, auch Bacon, Darwin, Mill, in der Ps. Johann F. Herbart, Gustav T. Fechner und Rudolph H. Lotze. Bemerkenswert sind Wundts Reden, u. a. als Rektor der Leipziger Universität im Jhd.jahr der Frz. Revolution, zu Menschenrechten und zur Humanitätsidee der Ethik sowie seine Gedenkreden auf Gottfried Wilhelm Leibniz und auf Gustav Theodor Fechner.

Die Erkenntnistheorie und die phil. Auffassungen Wundts sind wesentlich durch Leibniz, jedoch ohne dessen Bezug zur Theologie, bestimmt (Theoretische Psychologie). Es sind die Grundgedanken von Kontinuität (bei Wundt Aktualität des Bewusstseinsprozesses), Dynamik (bei Wundt Instinkt- und Willenstätigkeit) und Entwicklung (bei Wundt biol. Evolution und kult. Entwicklung), der psychophysische Parallelismus, die Perspektivität, die Unterscheidung zw. der Kausalität der Neurophysiologie und der Zweckbestimmtheit der Willenshandlungen sowie der geistig-kult. Entwicklung. Leibniz beschrieb den Übergang von kleinen, zunächst unbemerkten Sinnesempfindungen in die bewusste Wahrnehmung, abhängig von Bedürfnissen. In diesem aktiven Prozess der Apperzeption verbinden sich die Wahrnehmungen mit den anderen psych. Inhalten im Bewusstsein und konstituieren das Selbst-Bewusstsein und die Individualität des Menschen. Wundt hat diese Ideen eines großen Philosophen, die auch für Herbart und Fechner grundlegend waren, in empirische, auch experimentalpsychol. Konzepte und Methoden umgesetzt und mit seiner Apperzeptionstheorie das zentrale theoret. Konstrukt seiner Allg. Ps. und zugleich das theoret. Fundament seiner psychol. Entwicklungstheorie der Kultur geschaffen.

Die Grundzüge der physiologischen Ps. (1874, 7. Aufl. in drei Bänden 1923) sind Wundts weltweit bekanntes Lehrbuch. Er wollte beide Wiss. miteinander in Verbindung bringen, ohne die Ps. auf die Physiologie zu reduzieren, denn für ihn sind es zwei gleichberechtigte und einander ergänzende Betrachtungsweisen. Das kleingeschriebene Adjektiv «physiol.» bedeutet ausdrücklich, dass physiol. Methoden nur Hilfsmethoden sein können. Die Grundzüge beginnen mit ausführlichen Kapiteln über das Zentralnervensystem und die Neurophysiologie. In Wundts neuropsychol. Konzeption der apperzeptiven Prozesse, die er als Flussdiagramm mit efferenten und afferenten Bahnen modelliert und mit Reafferenzen konzipiert, werden diese Leistungen frontokortikalen Gehirnstrukturen zugeschrieben – im Einklang mit heutigen Vorstellungen. Er verlangt jedoch, dass die neuropsychol. Forschung von psychol. Konzepten wie der willentlichen Aufmerksamkeitssteuerung und nicht von neurophysiol. Konzepten aus geplant wird; es kommt darauf an, geeignete «Korrelatbegriffe» (Brückenkonzepte) zu finden. Die Apperzeption als integrativer Prozess ist Wundts zentrales theoret. Konstrukt. Er lehnt sich an die von Leibniz und Kant entwickelte phil. Auffassung an, Bewusstsein allg. als Synthese zu begreifen, und verwendet experimentalpsychol. Methoden, um die selektive Steuerung der Aufmerksamkeit, aktive kogn., emotionale und volitionale Integrationsleistungen (psychische Verbindungen) und die Einleitung von Handlungstendenzen zu untersuchen. Apperzeptionspsychologie bedeutet, dass die integrierende Eigenaktivität und die kreativen Leistungen wichtiger sind als die elementaren Bedingungen der Assoziationsvorgänge. Wundt hält die «mechanistische»  Auffassung der engl. Assoziationstheorie für grundsätzlich unzureichend. In verallgemeinerter Fassung ist Apperzeption ein hochorganisierter Prozess der Integration. Sinneseindrücke (als Sinnesvorstellungen repräsentiert), Vorstellungen, Gefühle und Willenstätigkeit werden aktualisiert, akzentuiert, ausgewählt, analysiert, auf versch. Weise kombiniert und ausgedrückt, bewertet und ausgerichtet, nicht bloß verarbeitet, sondern auch «schöpferisch synthetisiert». Apperzeption ist eine zur passiven Assoziation hinzukommende Tätigkeit, die sowohl eine vorstellende und vergleichende als auch eine willkürliche und auswählende ist, als apperzeptive Vorstellungsfunktion und apperzeptive Willenshandlung. In diesem multimodalen Prozess sind motivationale, kogn. und emotionale Aspekte meth. zu differenzieren: deskriptiv und erst teilweise experimentalpsychol. Aufmerksamkeit und Aufmerksamkeitssteuerung sind herausragende Bsp. der wünschenswerten Verbindung experimentalpsychol. und neurophysiol. Forschung. Apperzeption ist folglich ein in höchstem Grad multireferenzielles Konstrukt. Die heutigen Begriffe multimodal, multireferenziell und multimeth. sind hier als Hinweise auf das wiss. Anspruchsniveau gemeint. Wundts Konzeption ist jedoch erst hinreichend charakterisiert, wenn die dynamischen, als primäre Willenstätigkeit beschriebenen, Bedingungen, und die geistig-kult. Entwicklungsprozesse einbezogen sind.

Die exp. Ps. in Leipzig stützte sich hauptsächlich auf vier Methodentypen: die Eindrucksmethode, d. h. auf die geschulte und systematisch wiederholte Selbstbeobachtung unter exp. Kontrolle, insbes. in der Psychophysik; die Reaktionsmethoden (mentale Chronometrie, Reaktionszeit, Reaktionsversuch) in der Ps. der Aufmerksamkeit und Apperzeption, um die aufgabenbedingte Variation bzw. die Komponenten der apperzeptiven Verarbeitungszeiten zu messen; die Ausdrucksmethode mit physiologischer Registrierung motorischer und vegetativer Reaktionen in der Gefühlsforschung (Psychophysiologie, psychophysiologische Methodik); die Reproduktionsmethoden (Reproduktionsaufgabe) in der Forschung über das Gedächtnis. Das Methodenrepertoire ist jedoch weit umfangreicher, bspw. durch versch. Aufgaben zur Prüfung der Aufmerksamkeitsleistung und durch Kraepelins Arbeitskurve im Zus.hang psychopharmakol. Forschung. Dagegen lehnte Wundt Untersuchungen, die Selbstbeurteilung verlangten, wie von Bühler, Karl in der Denkps. verwendet, als «Ausfrageexperimente» scharf ab. Er sah besser geeignete Methoden der denkpsychol. Forschung in seiner Sprachps. Wundt hatte anfänglich Immanuel Kants prägnante Methodenkritik an Selbstbeobachtung und psychol. Messung zurückgewiesen, später jedoch eingeräumt, dass Messung und Mathematik nur auf sehr elementare Bewusstseinsvorgänge anwendbar sind wie in der Psychophysik.

Das zweite Hauptwerk, die zehnbändige «Völkerpsychologie». Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythos und Sitte (1900 bis 1920), ist ein Monument der Kulturps. zu Beginn des 20. Jhds. Das kulturpsychol. Wissen der Zeit wird zus.gefasst und theoret. strukturiert. Es geht nicht um Völkerkunde (Ethnologie), sondern um Kulturps. und um Wundts Leitidee, eine Entwicklungspsychologie der geistigen Prozesse zu schaffen: Sprache (auch als Ausdruck des Denkens untersucht), Fantasie, Mythos, Religion, Sittlichkeit, Recht und Staat, das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft, zur geistigen Umgebung und zu den äußeren Lebensbedingungen. «Wir kennen den Menschen nur als ein soziales Wesen …». Der geistig-kult. Prozess wird nach einem System psychol. und erkenntnistheoret. Prinzipien analysiert. Psychol. stützte sich Wundt auf seine Prozesstheorie der Apperzeption und auf seine Ps. der Willens- und Triebtätigkeit. Bsp. der ca. 20 fundamentalen Motive der kult. Entwicklung sind: Lebensfürsorge und Arbeitsteilung, Jungenpflege und Gemeinschaft, Selbsterziehungsmotiv, Herstellungs- und Nachahmungsmotiv, Beseelung und magisches Motiv, Rettungs- und Erlösungsmotiv, Spieltrieb und Schmuckmotiv, und Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit. Wundt folgte hier den Erkenntnisprinzipien der psychischen Kausalität, seinen Regeln des generischen Vergleichs (Typisierung) und der kritischen Interpretation.

Die Völkerps. verlangt geisteswiss. Arbeitsmethoden (geisteswissenschaftliche Psychologie): die vergleichende Beobachtung und Interpretation von obj. vorliegendem Material, d. h. Historisches, Sprache, Werke, Kunst, Berichte und Beobachtungen, hauptsächlich in früheren und teils noch vorsprachlichen Kulturen, weshalb ethnologische Forschungsberichte über gegenwärtige Kulturen ihn eher am Rande interessierten. Mit seinen methodenkritischen Regeln formulierte er den Ansatz der ersten Lehre der Interpretation in der Ps. Insges. forderte Wundt keine grundsätzliche Entscheidung zw. exp.-stat. und deskriptiven bzw. interpretativen Methoden. So kombinierte er in der Ps. der Sprache und der Phantasietätigkeit deskriptive, interpretative und exp. Befunde. Wundts Erkenntnistheorie und Methodologie mit ihren Postulaten, Kategorien und Prinzipien sowie den hauptsächlichen Methoden sind nur im dritten Band der Logik (1921) zus.hängend dargestellt, sie wurden daher oft übersehen.

Seine erkenntnistheoret. Auffassungen und seine Gedanken zur Metaphysik, d. h. die jenseits der empir. Wiss. bestehenden Ideen, stellte Wundt in zwei Büchern dar: Einleitung in die Philosophie und System der Philosophie. Höhere Auflagen erreichte seine Ethik, in der er die kulturpsychol. Perspektive der Moral mit der normativen Sicht ethischer Normen verband und auf die Idee Humanität bezog. Die dreibändige Logik enthält eine umfassende Wissenschaftslehre der Natur- und Geisteswissenschaften.

Wundt versuchte, das weite Feld der Ps. zw. Philosophie und Physiologie, zw. Geistes- und Naturwissenschaft, neu zu bestimmen. Er schuf eine umfassende Wissenschaftskonzeption der Ps., die sich von der Psychophysik der Sinnesempfindungen und Neurops. bis zur Sprachps., Kunstps. und Sprachps. erstreckte. Der Mensch als denkendes und wollendes Subjekt ist nicht in den Begriffen der Naturwissenschaft zu erfassen. Die Ps. erfordert koordinierte Erklärungen nach dem Kausalprinzip und dem Zweckprinzip, spez. Kategorien (Kategorienlehre) und eigenständige Erkenntnisprinzipien. Sie ist einerseits empirische Geisteswissenschaft und andererseits verwendet sie physiol. Hilfsmethoden und neuropsychol. Korrelatbegriffe. Die Fragestellungen und Methoden der Ps. sind bei Wundt eng mit der Erkenntnistheorie verknüpft: er verfasste – ohne schon diesen Begriff zu verwenden – die erste Wissenschaftstheorie der Ps. Die Ps. ist keine Wissenschaft der indiv. Seele, sondern untersucht den Prozess der in beständigem Fluss befindlichen inneren Erfahrung und ihrer aktiv organisierenden Prozesse (Wundts Aktualitätstheorie). Das Leben ist ein einheitlicher – psych. und physischer – Prozess, der auf unterschiedliche Weise betrachtet werden kann, um allg. Gesetzmäßigkeiten, auch die ps.historischen und die biol. Entwicklungsgesetze zu erkennen. Wundt widersprach der seit Herbart mächtigen Tradition einer einseitig intellektuellen und mathematischen Ps. und betonte neben den kogn. auch die emotionalen und insbes. die fundamentalen willentlichen Funktionen. Nicht die einzelnen Teilprozesse, die Elemente, sondern deren psychische Verbindungen in den apperzeptiven Leistungen und in der willentlichen Ausrichtung des Bewusstseinsprozesses (Wille, Volition, Voluntarismus) bilden Wundt zufolge das Hauptthema der Ps.

Mit seinem Begriff kritischer Realismus grenzte sich Wundt von anderen phil. Positionen ab. Er prägte den Begriff psychophysischer Parallelismus, nicht als metaphysisches Postulat, sondern als eine Heuristik, denn er folgt Leibniz, indem er zw. der Naturkausalität der neurophysiol. Vorgänge und den kategorial eigenständigen Prinzipien der psych. Verbindungen, der psych. Kausalität unterschied. In seiner Prinzipienlehre der psych. Kausalität erläuterte Wundt «einfache, nicht weiter ableitbare Voraussetzungen der Verknüpfung seelischer Tatsachen». Seine Bsp. stammen aus der Sinnesps., Gefühls- und Willenstheorie, Kulturps. und Ethik.

Das Prinzip der schöpferischen Synthese besagt: Jede Wahrnehmung ist mehr als die Summe einzelner Empfindungen, denn aus deren Verbindung entsteht «ein Neues mit eigentümlichen Merkmalen». Wundt hat dieses Prinzip (heute auch Emergenzprinzip in der Systemtheorie) in der Tradition von Leibniz als Erkenntnisprinzip der empirischen Ps. in erster Fassung 1863 formuliert – lange vor den Begründern der Gestaltpsychologie. Außerdem gibt es das Prinzip der beziehenden Analyse (Kontextprinzip, Relativitätsprinzip), das Prinzip der psychischen Kontraste (Kontrastprinzip) sowie das Prinzip der Heterogonie der Zwecke (Prinzip der beabsichtigten Handlungsfolgen und der unbeabsichtigten Nebenwirkungen), das zugleich i. S. einer Selbstentwicklung interpretiert werden kann.

Wundt verlangte die Fähigkeit und die Bereitschaft, Perspektiven und Bezugssysteme zu unterscheiden und im Perspektivenwechsel die notwendige Ergänzung dieser Bezugssysteme zu begreifen. Dieses Denken in kategorial und meth. versch. Bezugssystemen entspricht dem später von Niels Bohr formulierten Komplementaritätsprinzip, Wundt stand jedoch in der Tradition von Leibniz‘ perspektivischem Denken. Wissenschaftstheoret. betrachtet verband Wundt einen methodologisch-kategorialen Dualismus mit einem Methodenpluralismus und einem Monismus: ein Lebensprozess unter versch. Perspektiven. Eine Kurzbez. ist perspektivischer Monismus. Wundt forderte, dass die Ps. mit der Philosophie, insbes. der Erkenntnistheorie und Ethik, verbunden bleibt. Die Psychologen würden sonst ihre phil. Vorentscheidungen und persönlichen metaphysischen Überzeugungen in die Ps. hineintragen und nicht mehr der gemeinsamen erkenntnistheoret. Kritik aussetzen. Niemand würde «unter einer solchen Trennung mehr leiden als die Ps.»; so werde «die Entartung zu einem Handwerk gefördert».

 Erster Assistent Wundts war Cattell (Cattell, James McKeen); es folgten zahlreiche Mitarbeiter, von denen viele als Pioniere best. Richtungen der Ps. bekannt wurden, u. a. Felix Krueger (Wundts Nachfolger), Oswald KülpeErnst Meumann und Hugo Münsterberg sowie der Psychiater Emil Kraepelin. Unter den 184 Doktoranden waren 60 Ausländer (darunter 19 aus den USA, England und Canada, und mind. 24 aus Russland und Osteuropa). Zeitweilige Mitarbeiter, Studenten oder Gäste waren u. a. Bechterew, Boas, Durkheim, Stanley Hall, Höffding, Husserl, Lange, Malinowski, G. H. Mead, Michotte, Sapir, C. E. Spearmann, Thomas, Tönnies und Witmer. Neben seinen weit über 500 Publikationen sind die Anregung und Ausbildung fast einer ganzen Generation von Psychologen herausragende Leistungen Wundts. Während die Grundzüge der physiol. Ps. weltweite Resonanz fanden, hatte Wundts Völkerps.geringere Breitenwirkung. Weshalb Wundt noch zu Lebzeiten vom Gründervater fast zum Außenseiter der Ps. wurde, ist in der Rezeptionsforschung zu erkennen. Wundts erkenntnistheoret. fundierte Konzeption der Ps. und Neurops. sowie seine Wissenschaftstheorie sind anspruchsvoll und seine vielseitige Methodenlehre ist schwierig. Die meisten Psychologen der nächsten Generation bevorzugten entweder eine naturwiss. oder eine geisteswiss. orientierte Forschung. Durch seine Def. des Psych. bzw. des Bewusstseins als Prozess gab Wundt den metaphysischen Seelenbegriff auf; seine Ps. ohne Seele wurde, obwohl er diesen Ausdruck nicht verwendete, von mehreren zeitgenössischen und auch neueren Psychologen scharf kritisiert. Wundt hat weitere Angriffsflächen geboten: Er hielt praktische Anwendungen der Ps., u. a. in der Schule, erst dann für gerechtfertigt, wenn die wiss. Grundlagen hinreichend erforscht sind. Aus heutiger Sicht fällt auf, dass er sich für mehrere Fachgebiete wie die Differentielle Ps. und die Sozialps. von Dyaden und kleinen sozialen Gruppen kaum interessierte, es mangelte noch an geeigneten Methoden. Sigmund Freud zit. häufig aus der Völkerps., während Wundt sich gegen eine Ps. unbewusster Vorgänge (Unbewusstes) aussprach, weil er keinen meth. zuverlässigen Weg sah. Die Rezeptionsforschung zeigt, wie viele unzutreffende Aussagen über Wundt in heutigen Fachbüchern zu finden sind. Weder fordert er eine Elementenpsychologie, noch def. er Ps. als Naturwiss. mit einer Reduktion auf die Neurophysiologie.

Wundt hat das Feld der Ps. sehr weit def. und die exp. kontrollierte Selbstbeobachtung, vergleichende BeobachtungInhaltsanalyse und Interpretation zu grundlegenden und unverzichtbaren Methoden der wiss. Ps. erklärt. Er war mit diesen Methoden sehr gut vertraut und ist diesen Forschungswegen in ausgedehnten Vorhaben gefolgt. Dies ist ohne Vorbild und seitdem – aus unterschiedlichen Gründen – von einem einzelnen Forscher kaum mehr erreicht worden. Der Neurophysiologe, Psychologe und Philosoph Wundt vereinigte, bereits in der Anfangsphase der modernen Ps., wahrscheinlich wie kein späterer Psychologe, interdisziplinäres Wissen, multimeth. Forschungskompetenz und phil.-wiss.theoret. Denken. Das Anregungspotenzial von Wundts Ps. ist deshalb bei weitem nicht ausgeschöpft.

Referenzen und vertiefende Literatur

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