Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

 

[engl. psychodynamic therapy], [KLI], ist eine Sammelbezeichnung für psychotherap. Verfahren, die sich in der Tradition der Psychoanalyse Freuds (bzw. auch der Analytischen Psychologie C. G. Jungs und der Individualpsychologie A. Adlers) entwickelt haben (Tiefenpsychologie). Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist neben der Verhaltenstherapie und der psychoanalytischen Therapie eines der drei durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zugelassenen Therapieverfahren. Gegenüber der Psychoanalyse zeichnen sich tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie-Verfahren insbes. durch eine geringere Anzahl (laut G-BA: Kurzzeittherapie: bis 25 Std.; Langzeittherapie: bis 50 Std. mit Verlängerungsoption) und Frequenz von Behandlungssitzungen aus. Sie sehen das psychoanalytische Konzept des Konflikts als zentral für die Entstehung, Symptomatik und den Verlauf einer psychischen Störung an. Anders als die Psychoanalyse steht jedoch die Arbeit an der aktuellen Konfliktsituation und -struktur und weniger deren frühkindliche Entstehungsproblematik im Mittelpunkt. Neben der emot. Bewältigung wird angestrebt, dass der Klient auf kogn. Ebene Einsicht in die Struktur und die Bedeutung von Konflikten entwickelt. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist in stärkerem Maße als die Psychoanalyse durch eine klienten- und problemorientierte eklektische Vorgehensweise (Identifikation und Anwendung spezif. geeigneter Methoden) geprägt. Zudem steht in stärkerem Maße die Beziehung zur Außenwelt bzw. zu Übertragungsobjekten im Umfeld des Klienten (weniger Aspekte der Übertragung in der Therapeut-Klient-Beziehung) im Mittelpunkt. Der Therapeut übernimmt eine aktivere Rolle, indem er z. B. Hilfs-Ich-Funktionen im Falle desorganierter Ich-Organisation des Klienten übernimmt oder aktiver die Verbalisierungs- und analytischen Prozesse des Klienten unterstützt.

Grundlegend für das therap. Vorgehen ist eine sorgfältige Anamnese unter tiefenpsychol. und lebenshistorischer Perspektive. Neben der Symptomatik werden die Biografie (vor allem im Hinblick auf die Störungsproblematik) und Aspekte der (früh-)kindlichen und weiteren Persönlichkeitsentwicklung erfragt sowie die Fähigkeit zur Reflexion des Klienten bzw. seine Reflektiertheit bzgl. aktueller Konflikte erfasst. Zusätzlich erfolgt eine Familien- und ggf. Suchtanamnese und die Anamnese somatischer Vorerkrankungen. Neben einer neurosenpsychol.-ätiologischen Diagnostik (Neurose) sollte auch eine Klassifikation der Störungen gemäß ICD-10 erfolgen (Klassifikation psychischer Störungen). Zu Beginn des therap. Prozesses ist die Herstellung eines transparenten und vertrauensvollen Arbeitsbündnisses (Therapiebeziehung) und die Klärung der Behandlungsziele zentral. Abstinenz (Abstinenzgebot) und Neutralität (i. S. von wertungsfreier, unvoreingenommener Grundhaltung) des Therapeuten sind essenzielle Voraussetzungen für einen gelingenden Therapieprozess. Für den Inhalt der Therapie sind vor allem folg. Aspekte zentral: (1) aktuell wirksame neurotische Konflikte, (2) aktuelle Symptomatik, (3) (häufige) Auslöser (z. B. Trennung, Verlust, kritische Lebensereignisse) und (4) typische unbewusste Hintergründe aktueller Konflikte (z. B. Bindungsprobleme, Objektverlust, mangelnde Sicherheit, Kränkungen, Schuldgefühle). Die therap. Arbeit wird durch ähnliche Verfahren und Prinzipien wie die Psychoanalyse gestaltet: Insbes. die Regression, also die Reaktivierung (früh-)kindlicher Grunderfahrungen, ermöglicht den Zugang zu und die Klärung konfliktbezogener Erlebens- und Verhaltensaspekte – insbes. wenn der Bezug zu Abwehrmechanismen des Ich deutlich wird. In der Therapeut-Klient-Kommunikation ist dabei auf Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene zu achten, da diese relevante Grunderfahrungen im Hier und Jetzt zugänglich machen können. Im Vergleich zur Psychoanalyse wird hierbei immer die Bedeutung für die aktuelle Lebenssituation des Pat. im Blick behalten. Dies geht damit einher, dass Regressionserfahrungen begrenzt sind und Übertragungsphänomene in geringerem Maße angeregt werden. Der Klient hat zudem ein höheres Maß an Kontrolle über das Therapiegeschehen im Verlauf des Therapieprozesses. Während die Psychoanalyse eine grundlegende Umstrukturierung der Persönlichkeit anstrebt, zielt die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie auf eine reifere Verarbeitung (unbewusster) Konflikte ab. Durch die Therapie soll die Bedeutung störungsrelevanter psychodynamischer Konflikte für das Erleben und Verhalten des Klienten (z. B. bzgl. zwischenmenschlicher Beziehungen) verringert werden. Stattdessen sollen gesundheitsförderliche, reflektiertere Verarbeitungs- bzw. Konfliktbewältigungsprozesse entwickelt und im Alltag eingesetzt werden.

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist indiziert, wenn lebensgeschichtlich bedeutsame psychodynamische Konflikte als wesentliche Störungsursachen und Symptomdeterminanten gelten können und durch die Konfliktaufarbeitung eine wesentliche Besserung erwartet werden kann. Der Klient muss prinzipiell fähig sein, konfliktrelevantes Erleben und Verhalten zu reflektieren und zu verbalisieren, und darf hierdurch nicht intellektuell oder emot. überfordert werden. Der Klient muss zudem motiviert sein, sich auf die tiefenpsychol. Arbeit einzulassen. Psychol. Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie ärztliche Psychotherapeuten, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie qualifiziert anbieten, sind in der Deutschen Fachgesellschaft für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie e. V. (DFT) [www.dft-online.de] organisiert.

Referenzen und vertiefende Literatur

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