Theorie

 

[engl. theory; gr. θεωρία (theoria) Betrachtung], [PHI], deduktiv geordnetes System von Gesetzeshypothesen mit einem gemeinsamen Gegenstandsbereich; aus den Grundgesetzen (Axiome, Postulate) einer Theorie sind alle anderen Aussagen der Theorie (Theoreme) deduktiv-logisch ableitbar. Durch die Konstruktion einer Theorie wird das Wissen über die Phänomene in einem best. Bereich (empirische Befunde, bestätigte Hypothesen) systematisiert, die Axiome sind eine hoch komprimierte Zusammenfassung dieses Wissens. Ziel ist es, möglichst viele Hypothesen durch möglichst wenige Grundgesetze zu erklären und darüber hinaus Vorhersagen über neuartige Phänomene zu machen. Theorien spielen eine wichtige Rolle innerhalb von Forschungsprogrammen (Forschungsprogramme). Einflussreich waren in der Ps. die Theorien von Lewin (1936), Hull (1943), Festinger (1957), R.C. Atkinson (1964), Norman & Rumelhart (1975) und Anderson (1983). Die meisten psychol. (und auch anderen erfahrungswiss.) Theorien werden nicht explizit in deduktiv geordneter Form oder gar in einer formalen Sprache dargestellt; um deduktive Systeme handelt es sich dann insoweit, als sie in diese Form gebracht werden könnten. Häufig wird auch eine erste, oft metaphysische Idee, die Ausgangspunkt für die Formulierung eines deduktiven Systems ist, Theorie genannt. Metaphysische Ansätze können heuristisch fruchtbar sein, auch wenn sie zunächst als nicht prüfbar erscheinen. Daher wird die Forderung nach empirischer Prüfbarkeit (Falsifizierbarkeit) in zunehmendem Maße dahingehend interpretiert, einen vorliegenden Ansatz zu möglichst guter Prüfbarkeit hin zu entwickeln und zunehmend strengeren Tests auszusetzen.

Die Begriffe in Grundgesetzen einer Theorie beziehen sich i. Allg. auf abstrakte, der Beobachtung wenig zugängliche Entitäten (Atome, kogn. Dissonanz, aktiviertes Schema), wobei es allerdings keine scharfe Grenze zw. dem «Theoretischen» und dem Beobachtbaren gibt. Um eine Theorie gut prüfbar zu machen, müssen Zuordnungsannahmen über Zusammenhänge zw. nicht (bzw. schwer) beobachtbaren und gut beobachtbaren Sachverhalten gemacht werden (Operationalisierung). Eine Gesetzesaussage einer Theorie oder eine Zuordnungsannahme sind niemals isoliert prüfbar. Ein erwartungskonträrer empirischer Befund widerspricht immer nur einer Menge mehrerer Aussagen; der Forscher muss dann entscheiden, welche Aussage er verwerfen und ersetzen will, um zu prüfen, ob sich das neue Gesamtsystem von Aussagen besser bewährt.

Qualitätsmerkmale einer Theorie sind Widerspruchsfreiheit (logische Konsistenz), semantische Konsistenz, Gehalt, Einfachheit, Wahrheit, empirische Adäquatheit. Aus der Sicht des wiss. Realismus dient der Erfolg bzw. Misserfolg empirischer Vorhersagen als Kriterium, um sich dem Ziel zutreffender (wahrer) Darstellungen (auch nicht beobachtbarer Bereiche) der Realität anzunähern. Der Instrumentalismus erhebt anstelle der Wahrheitserkenntnis den Vorhersageerfolg (empirische Adäquatheit) zum Selbstzweck und interpretiert Theorien als mehr oder weniger nützliche Vorhersageinstrumente. Nach dem Non-Statement-View (auch Strukturalismus genannt) sind Theorien nicht als Systeme von Aussagen, sondern als spez. math. Strukturen ohne Aussagencharakter zu interpretieren; erst der mithilfe einer solchen Struktur formulierbare «empirische Satz» behauptet die Anwendbarkeit der Struktur auf empirische Gegebenheiten. Theorien als deduktive Systeme entstehen i. d. R. erst nach der Bewährung einiger Hypothesen mit demselben Gegenstandsbereich. Andererseits geht «Theorie» in einem erweiterten Sinne jeder Erfahrung voraus, nämlich in Form von Erwartungen, einzelnen Hypothesen, Alltagsauffassungen, Weltanschauungen; Erfahrung ist i. d. S. «theorieabhängig», «theoriegeladen». Forschungsprozess.

Referenzen und vertiefende Literatur

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