Textverarbeitung

 

[engl. text processing], [KOG], bezieht sich auf alle kogn. Vorgänge, die an der Aufnahme, Speicherung, Organisation, Elaboration, Transformation, Reaktivierung und Reproduktion von Informationen aus Texten beteiligt sind (Gedächtnis). Grundlegend für die in den 1970er-Jahren einsetzende Forschung und Theoriebildung ist die bereits von Bartlett (1932) formulierte Kernannahme der kogn. Konstruktivität, nach der die Textverarbeitung keinen passiven, sondern einen aktiven Prozess der Sinnkonstruktion darstellt. Daraus folgt, dass der Verarbeitungsprozess als Interaktion zw. den Merkmalen des Textes (z. B. Strukturiertheit, Verständlichkeit, Bildhaftigkeit) und den Merkmalen der Rezipienten (z. B. Vorwissen, Interesse, Erwartungen, Ziele) zu konzipieren ist (Text-Leser-Interaktion). Kennzeichnend für die Textverarbeitungsforschung ist, dass sie sich zunächst auf die Textseite dieses Wechselwirkungsprozesses konzentriert hat (Textbeschreibungsmodelle), im Zuge ihrer Entwicklung aber zunehmend die Rezipientenseite berücksichtigt und danach explizit und differenziert das Zus.spiel von Text- und Leserinstanz behandelt hat.

Im Mittelpunkt der textseitigen Forschung steht die möglichst präzise und obj. Textbeschreibung in Form einer Zerlegung des Textes in Propositionen (Prädikat-Argument-Strukturen) und Makropropositionen; außerdem der (erfolgreiche) Nachweis, dass die Verarbeitungsqualität (das Behalten) eine Funktion der propositionalen Textbeschreibungsmerkmale darstellt. Die rezipientenseitig orientierte Forschung untersucht komplementär vor allem den Einfluss von Rezipientenmerkmalen wie Vorwissen, Interessen, Zielsetzungen und Arbeitsgedächtniskapazität auf die Verarbeitung. Dabei hat sich gezeigt, dass das Vorwissen mit Abstand den stärksten Einfluss ausübt. I. R. der sog. Schematheorien wurde herausgearbeitet, dass die als Schemata bez. Wissensstrukturen zum einen die Integration neuer Informationen erleichtern, zum anderen die Rekonstruktion gespeicherter Informationen steuern. Zwei Arten von Vorwissensstrukturen wurden bes. intensiv erforscht: Skripte (repräsentieren Wissen über routinisierte Verhaltens- und typ. Ereignisabläufe in stereotypen Situationen; klass. Bsp.: Restaurantbesuch) und Geschichtengrammatiken (beschreiben Art und globale Ordnung von Konstituenten in Erzähltexten: z. B. Thema, Setting, Ereignis, Charaktere).

Die Bedeutsamkeit rezipientenseitig vorhandenen Wissens wurde seit Beginn der 1980er-Jahre zunehmend auch in versch. Prozessmodellen der Textverarbeitung berücksichtigt. Die größte Akzeption hat das Konstruktions-Integrations-Modell von Kintsch (1988) erfahren, das eine Integration von Textinformation und Vorwissen anstrebt und dafür zwei Prozessphasen unterscheidet: In der ersten Phase, der Konstruktionsphase, wird mithilfe von text- und einigen vorwissensbasierten Inferenzen eine reichhaltige, aber ungenaue propositionale Repräsentation des Ausgangstextes mit vielen überflüssigen Informationen erstellt; in der zweiten Phase, der sog. Integrationsphase, wird diese interne Repräsentation unter Rückgriff auf das Weltwissen hinsichtlich Kohärenz sowie Passung zum situativen Kontext geprüft und entspr. reduziert. Als Ergebnis dieses zweiphasigen Prozesses werden Repräsentationen auf drei miteinander verbundenen Ebenen aufgebaut: eine Repräsentation der Textoberfläche (z. B. exakter Wortlaut, grammatikalische Wortarten, Satzsyntax), eine Repräsentation der propositionalen Textbasis (bildet die Textbedeutungsstruktur ab) und eine Repräsentation in Form eines mentalen Modells (auch: Situationsmodell), das die im Text beschriebenen Sachverhalte oder Situationen in Verbindung mit dem Vor- und Weltwissen weitgehend losgelöst von sprachlichen Strukturen enthält. Insges. gilt dieses KIM als empirisch gut gestützt. Das zentrale Problem besteht allerdings in der exakten Beschreibung des Vorwissens, weshalb nur für routinisierte, eng umschriebene Wissensbereiche verlässliche Vorhersagen möglich sind.

In Bezug auf den konkreten Textverarbeitungsprozess bietet das Strategiemodell von van Dijk & Kintsch (Richter & Schnotz, 2018) den größten Auflösungsgrad, das fünf Arten von Teilprozessen (propositionale Strategien, lokale Kohärenzstrategien, Makrostrategien, Schemastrategien und pragmatische Strategien) unterscheidet, die beim Lesen eines Textes eine Rolle spielen, miteinander interagieren und stets vom Vorwissen und den Zielsetzungen der Leser beeinflusst sind. Insges. hat die Forschung deutlich gemacht, dass Leser in Abhängigkeit von Zielen, Aufgaben, Rezeptionsbedingungen und Interessen eine Vielzahl unterschiedlicher Wissensteilmengen flexibel einsetzen (können). Der Versuch, diese Flexibilität angemessen zu berücksichtigen, stellt die zentrale Herausforderung für die künftige Forschung dar. Text-Leser-Interaktion.

Referenzen und vertiefende Literatur

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