Tagebuch

 

[engl. diary], [DIA, FSE], Verfahren, das darauf abzielt, das Erleben und Verhalten von Menschen im Alltag zu erfassen (Bolger et al., 2003). Kennzeichnend für Tagebuchstudien ist, dass dieselben Personen innerhalb eines definierten Zeitraums mehrmals befragt werden; die Befragungen können dabei ein- oder mehrmals täglich über einen Zeitraum von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen stattfinden. Während herkömmliche Befragungen (Interview, Fragebogen) meist auf interindiv. Unterschiede abzielen, liegt der Fokus bei Tagebuchstudien auf intraindiv. Veränderungen und Zusammenhängen. In der englischsprachigen Literatur wird dieser Unterschied häufig als between- vs. within-person design bez. Im Folgenden wird insbes. auf quant. Tagebuchstudien eingegangen, wobei Tagebuchstudien auch qual. durchgeführt werden können.

Tagebuchstudien werden üblicherweise in drei Arten eingeteilt, die sich darin unterscheiden, wodurch eine Befragung ausgelöst wird. (1) Beim intervallkontingenten Befragen liegen zw. den einzelnen Befragungen fixe zeitliche Abstände wie bspw. ein Arbeitstag. (2) Beim signalkontingenten Befragen werden die Teilnehmer über einen Signalgeber (z. B. ein Smartphone) zur Beantwortung aufgefordert. Die Abstände der einzelnen Befragungen können dabei völlig zufällig sein oder auch systematisch variieren. (3) Beim ereigniskontingenten Befragen sollen die Teilnehmer immer nach dem Auftreten eines best. Ereignisses (z. B. Konflikt mit einem Kollegen) ihr Tagebuch ausfüllen. Welche dieser drei Arten für eine Studie verwendet wird, hängt von der inhaltlichen Fragestellung ab. Ein ereigniskontingentes Tagebuch eignet sich vor allem, um eher seltene Ereignisse zu untersuchen. Ein intervall- und signal-kontingente Tagebuch kann hingegen verwendet werden, um bspw. intraindiv. Zusammenhänge zw. versch. Konstrukten zu untersuchen. Die Durchführung einer Tagebuchstudie kann mit Papierfragebögen, Pocket-Computern oder über das Internet erfolgen (Ohly et al., 2010). Zur Auswertung von Tagebuchdaten wird häufig die Mehrebenenanalyse verwendet, da diese insbes. die Modellierung der Abhängigkeit der Daten, die durch eine mehrfache Befragung von ein und derselben Person entsteht, erlauben.

Tagebuchstudien zeichnen sich im Vergleich zu herkömmlichen Fragebogenerhebungen durch mehrere Vorteile aus (Landmann & Schmidt, 2010). Sie eignen sich wie kein anderes Verfahren zur Erfassung von Zuständen und Ereignissen (z. B. affektive Zustände in Folge best. Arbeitsstressoren; Stress am Arbeitsplatz). Weiterhin müssen bei herkömmlichen Befragungen Erinnerungsfehler in Kauf genommen werden, da das zu berichtende Ereignis in der Vergangenheit liegt. Durch eine zeit- oder ereigniskontingente Erhebung können Erinnerungsfehler in Tagebuchstudien verringert werden (Reis & Gabel, 2000). Zudem können eine Reihe von Fragestellungen untersucht werden, die über die Möglichkeiten herkömmlicher Befragungen hinausgehen (Sonntag et al., 2012). So können bspw. intraindiv. Zusammenhänge oder auch zeitliche Verläufe eines psychol. Konstrukts (z. B. Erschöpfung) untersucht werden (Bolger et al., 2003; Landmann & Schmidt, 2010). Den dargestellten Vorteilen stehen gewisse Nachteile gegenüber. So handelt es sich meist um subj. Daten, deren Zuverlässigkeit ggf. durch die Erhebung obj. Kriterien überprüft werden sollte (Landmann & Schmidt, 2010; Sonntag et al., 2012). Zudem sind Tagebücher für die Teilnehmer mit einem hohen Aufwand verbunden. Täglich mehrere Befragungen über einen Zeitraum von einer bis mehreren Wochen verlangt ein hohes Maß an Motivation und verfügbarer Zeit seitens der Teilnehmer. Nicht selten kommt es daher bei Tagebuchstudien zu Abbrüchen oder zumindest fehlenden Daten (missing data). Aus diesem Grund sind die einzelnen Befragungen sehr kurz, was wiederum die Untersuchung eines Gegenstandes in seiner vollen Tiefe einschränkt (Bolger et al., 2003). Weiterhin ist relativ wenig über den Einfluss der Befragung an sich bekannt. Es besteht die Möglichkeit, dass die Teilnahme an einer Tagebuchstudie an sich Reflexions- und Regulationsprozesse aktiviert, wodurch das Zielverhalten beeinflusst werden kann.

Referenzen und vertiefende Literatur

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