Steuerpsychologie

 

[engl. psychology of tax behavior], [AO, EM, KOG, SOZ, WIR], Teilgebiet der Wirtschaftspsychologie, dessen Gegenstand das Wissen über staatliche Regulation und Steuern, Einstellung und Motivation sowie das Verhalten von Individuen und Unternehmen gegenüber Abgaben und Steuern bildet. Die Anfänge der Steuerpsychologie gehen maßgeblich auf Günter Schmölders zurück, der sich mit Fragen der Steuerbelastung, Steuermoral, Steuermentalität und des Steuerwiderstands auseinandersetzte. Zentrales Thema der Steuerpsychologie sind Determinanten von Steuerehrlichkeit und -hinterziehung. Die zahlreichen in der sozialwiss. Literatur beschriebenen Determinanten können nach Kirchler (2007) in fünf Kategorien eingeteilt werden:

(1) Politische Perspektive: Aus politischer Perspektive beeinflussen Charakteristika der Finanzpolitik und des Steuersystems, insbes. die Komplexität der Steuergesetze und die Höhe der Steuersätze, das Steuerverhalten.

(2) Sozialpsychol. Perspektive: Der Einfluss von Wissen über Steuergesetze, Einstellungen und soziale Repräsentationen, Normen, wahrgenommener prozeduraler und distributiver Gerechtigkeit wird untersucht. Das Konzept der motivationalen Grundhaltungen der Steuerzahler (motivational postures) von Braithwaite fasst die Einstellungen, Bewertungen und Erwartungen einer Person gegenüber Steuern und der Steuerbehörde zusammen. Abhängig vom Muster motivationaler Grundhaltungen nehmen Steuerzahler unterschiedliche Positionen ein: Ein großer Prozentsatz der Steuerzahler zahlt ehrlich Steuern und ist nicht bestrebt, Steuern zu hinterziehen (commitment). Capitulation beschreibt eine Haltung, wonach Steuerzahler den Gesetzen entsprechend handeln, obzwar sie Steuern vermeiden möchten. Resistance und disengagement beschreiben Motivationsmuster, die zur bewussten Entscheidung gegen Kooperation in Form von Widerstand oder Ignoranz der staatlichen Regeln führen. Die motivationale Grundhaltung des game-playing beschreibt schließlich eine negative Einstellung der Steuerzahler zu Staat und Steuergesetzen und den Versuch, Gesetze geschickt zu umgehen. Sie suchen nach Schlupflöchern im Steuergesetz und versuchen mehr oder minder legal, der Steuerlast zu entkommen.

(3) Perspektive der rationalen Entscheidungsfindung (Entscheiden): Die Entscheidung zur korrekten Entrichtung der Steuern stellt ein soziales Dilemma dar, d. h. eine Situation, in der die Interessen des Einzelnen in Konflikt mit den kollektiven Interessen stehen. Der indiv. Nutzen ist dann am höchsten, wenn ein Steuerpflichtiger keine Steuern entrichtet und dennoch Leistungen des Staates (öffentliche Güter) in Anspruch nehmen kann, die durch Steuerbeiträge finanziert werden. Aus ökonomischer Sicht sind die Prüfwahrscheinlichkeit, das Strafausmaß bei Zuwiderhandeln sowie die Einkommenshöhe und Steuerrate dafür entscheidend, ob eine Person ehrlich ihre Steuern zahlt oder nicht. Zahlreiche empirische Studien bestätigen die Wirksamkeit von Kontrollen und Strafen. Allerdings sind die Effekte geringer als theoretisch erwartet, sodass anzunehmen ist, dass das Steuerverhalten außer von rationalen Überlegungen von weiteren Faktoren abhängt. Aus der Perspektive rationaler Entscheidungen sind auch Entscheidungsheuristiken oder das Framing der Entscheidungssituation relevant. Die Prospect-Theorie von Kahneman und Tversky findet in der Steuerpsychologie u. a. zur Erklärung von sog. Withholding-Phänomenen Anwendung. Withholding-Effekte beziehen sich auf riskantes, steuervermeidendes Verhalten von jenen Steuerzahlern, die zu geringe Steuervorauszahlungen leisteten und bei der Anfertigung der Steuererklärung feststellen, dass sie eine Steuerschuld haben, während jene Steuerzahler, die zu hohe Vorauszahlungen leisteten, sodass ein Guthaben resultiert, risikovermeidende Handlungen setzen und ehrlicher ihre Steuern zahlen. Laut Prospect-Theorie resultiert in Verlustsituationen Risikofreude, während in Gewinnsituationen, wie sie bei der Erwartung einer Steuerrückerstattung gegeben sind, risikoaverse Handlungen gesetzt werden (Verlustaversion).

(4) Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung (Unternehmerische Selbstständigkeit): Selbstständig Erwerbstätige und unternehmerisch tätige Steuerzahler sind in der Steuerpsychologie von besonderem Interesse. Sie zahlen im Ggs. zu Netto-Lohnempfängern Steuern «out of pocket» und dürften deshalb ein intensiveres Verlustempfinden haben als jene Personen, deren Steuern vom Bruttogehalt einbehalten wurden. Laut Theorie der mentalen Buchführung von Richard Thaler könnten selbstständig Tätige entweder (a) Bruttoeinnahmen als ihr eigenes Vermögen betrachten und nicht zw. tatsächlichem Einkommen, den Sozialabgaben und dem Steueranteil unterscheiden (Integration) oder (b) sie verstehen sich als «Verwalter» des Geldes, das sie zu einem späteren Zeitpunkt als der Einnahme aufgrund ihrer unternehmerischen Tätigkeit als Steuern abführen müssen und trennen den Steueranteil mental oder physisch von ihrem Nettoeinkommen. Die Wahrscheinlichkeit der Steuerhinterziehung dürfte im Falle der Integration geringer sein als im Falle mentaler Segregation.

(5) Interaktion zw. Steuerbehörde und Steuerzahlern: Die Beziehung zw. Steuerbehörde und Steuerzahlern bestimmt das Steuerklima, das auf einem Kontinuum von antagonistischem zu synergistischem Klima beschrieben werden kann. Herrscht ein antagonistisches Klima (cops and robbers) vor, so arbeiten Steuerzahler und Steuerbehörde gegeneinander. Steuerzahler fühlen sich von der Behörde verfolgt, die wiederum annimmt, dass die Bürger Möglichkeiten nutzen würden, Steuern zu umgehen oder zu hinterziehen. Herrscht hingegen ein synergistisches Klima (service and client) vor, so teilen Steuerzahler und Behörde dieselben Ziele und kooperieren. Die Steuerbehörde agiert in transparenter Weise und wird von Steuerzahlern als Autorität akzeptiert, die Dienstleistungen für die Gemeinschaft verrichten.

Ausgehend vom antagonistischen oder synergistischen Klima werden im Slippery-Slope-Rahmenmodell (Kirchler, 2007) erzwungene und freiwillige Steuerehrlichkeit unterschieden. Freiwillige Steuerehrlichkeit resultiert aus dem Vertrauen in den Staat und in die Behörden. Fehlt das Vertrauen, so kann Steuerehrlichkeit auch erzwungen werden, sofern die Behörden über ausreichend Macht verfügen und durch effiziente Kontrollen und wirksame Strafen Steuerehrlichkeit erzwingen können. Geringe Steuerehrlichkeit ist dann zu erwarten, wenn Behörden die Mittel fehlen, Steuerzahler durch abschreckende Maßnahmen zur Ehrlichkeit zu zwingen und die Bürger gleichzeitig den Behörden und dem Staat gegenüber misstrauisch sind.

Referenzen und vertiefende Literatur

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