Säuglingsforschung

 

[engl. infant research], [EW], Teilbereich der Entwicklungsps., in dem angeborene und erworbene Fertigkeiten des Säuglings sowie deren Entwicklung von der Geburt bis zum Ende des ersten Lebensjahres untersucht werden. Die Bereiche der Säuglingsforschung umfassen die Entwicklung der Wahrnehmung (Entwicklung, sensorische), Motorik (Entwicklung, motorische), Sprache (Sprachentwicklung), Kognition (Entwicklung, kognitive) und sozialen Fertigkeiten (Entwicklung, soziale). Ebenso heterogen wie die Themengebiete der Säuglingsforschung sind die verwendeten Methoden, die auf das Verhaltensrepertoire der Säuglinge in der vorsprachlichen Entwicklungsstufe ausgerichtet sind: das Blickverhalten, bei dem beobachtet wird, welchen Reizen sich Säuglinge (länger) zuwenden; motorische Reaktionen, wobei bspw. erfasst wird, wonach Säuglinge greifen oder wie häufig sie an einem Schnuller saugen, während ihnen ein Reiz präsentiert wird; physiologische Parameter wie Herzfrequenz, Hautleitfähigkeit und Hirnaktivität.

Die experimentelle Säuglingsforschung versucht durch die Darbietung bestimmter Reizanordnungen, die an die Wahrnehmungsfähigkeiten und die Aufmerksamkeitsspanne des Säuglings angepasst sind, Entwicklungsprozesse zu verstehen. Etablierte Methoden der Säuglingsforschung sind die Präferenzmethode (Präferenzparadigma, visuelles Präferenzverfahren), die Habituations-Dishabituations-Methode (Habituations-Dishabituations-Paradigma) und das Erwartungsverletzungsparadigma. Mit der Präferenzmethode, bei der zwei visuelle Reize simultan präsentiert werden und dabei erfasst wird, welchen Reiz Säuglinge länger anschauen, wurde gezeigt, dass Säuglinge schon in den ersten Lebenswochen einfache Kategorisierungen vornehmen und bspw. gesichtsähnliche Muster anderen visuellen Reizen vorziehen. Bei der Habituations-Dishabituations-Methode wird ein zuvor mehrfach dargebotener Reiz anschließend zus. mit einem zweiten, variierten Reiz dargeboten. Betrachten die Säuglinge nun den variierten Reiz im Mittel signifikant länger, wird daraus geschlossen, dass sie diesen als neu wahrnehmen (Neuigkeitspräferenz) und den Habituationsreiz wiedererkennen. Es wurde gezeigt, dass Säuglinge schon früh, zumindest für eine kurze Dauer, Objekte aus der Umwelt im Gedächtnis repräsentieren (Repräsentation) und wieder abrufen können. Durch das Erwartungsverletzungsparadigma wurde belegt, dass Säuglinge bereits Kernwissen (Intuitive Biologie, intuitive Physik, mentalistische Alltagspsychologie) in spezif. Bereichen (bspw. physikalisches Wissen) besitzen, das dazu führt, dass sie Erwartungen über best. Ereignisse ausbilden. Wird ihnen bspw. eine Situation dargeboten, in der die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft gesetzt sind (z. B. Flasche schwebt neben einem Tisch in der Luft), so betrachten Säuglinge diese physikalische Unmöglichkeit länger als ein vergleichbares, mögliches Ereignis (Flasche steht auf dem Tisch).

Die Säuglingsforschung hat kritische Phasen im Entwicklungsprozess identifiziert, in denen für eine optimale Entwicklung best. Erfahrungen gegeben sein müssen. Bspw. konnten fehlende Seheindrücke in den ersten Lebensmonaten (durch eine Trübung beider Linsen) auch Jahre nach der erfolgreichen Korrektur der Augen nicht vollst. kompensiert werden, einhergehend mit einer eingeschränkten visuellen Verarbeitung in spezif. Bereichen. Es besteht die Annahme, dass das kindliche Gehirn zu Beginn des Lebens für die Verarbeitung einer größtmöglichen Vielfalt von Reizklassen ausgestattet ist und dass mit zunehmender Erfahrung, die Säuglinge in ihrer Lebensumwelt machen, eine Spezialisierung für solche Reizklassen einsetzt, die häufig auftreten (bspw. die Laute der eigenen Muttersprache), wobei gleichzeitig die Sensitivität für seltenere Reizklassen verloren geht (Konzept des perceptual narrowing). Mit diesem Konzept hat die Säuglingsforschung grundlegende Prozesse identifiziert, die den Entwicklungsverlauf von anfänglich basalen Fertigkeiten hin zu einer immer größer werdenden Expertise in unterschiedlichen Funktionsbereichen beschreiben. In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres bilden zunehmend komplexere Verhaltensweisen der Säuglinge, wie bspw. die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit mit der eines Interaktionspartners zu koordinieren, grundlegende Prozesse für Lernen. Auf der Basis der empir. Säuglingsforschung wird der Säugling heute als ein von Geburt an lernfähiges, in Interaktion stehendes Individuum angesehen.

Referenzen und vertiefende Literatur

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