Rationalität

 

[engl. rationality; lat. ratio Vernunft], [EM, KOG, SOZ], ist aufgeklärtes und vernunftgeleitetes Denken und Handeln (Handlung), das von bloßem Glauben oder der Unfähigkeit, sich seines eigenen Verstandes (Verstand) zu bedienen, unterschieden wird. Theorien rationalen Verhaltens sind meist normativ, d. h., sie beschreiben, wie man sich in einer Situation verhalten sollte. In der Ps. werden normative Theorien auch als deskriptive Modelle untersucht, d. h. als Hypothese darüber, wie sich Menschen tatsächlich verhalten. Was unter Rationalität verstanden werden soll, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. In der Ps. existieren mind. drei versch. Positionen: Unbegrenzte Rationalität, Optimierung mit Randbedingungen, und ökologische Rationalität.

Unbegrenzte Rationalität: Viele ökonomische und einige psychol. Theorien setzen voraus, dass Menschen alle für ein Problem relevanten Alternativen, Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten bekannt seien. Diese Theorien beantworten die Frage, wie man sich verhalten sollte, wenn man alle Informationen hat (und keine erst suchen muss). Die Maximierung des erwarteten Nutzens (Kosten-Nutzen-Kalkulation) bildet z. B. die Basis für Theorien über Entscheidung (Entscheiden, rational choice theory), moralisches Verhalten (Moral, Konsequentialismus) und kogn. Prozesse (Kognition, Bayesianische Modelle des Gehirns). Kennzeichnend für diese Klasse von Modellen ist, dass meist unbegrenzte Kapazitäten angenommen werden, etwa ein perfektes Gedächtnis, vollst. Wissen und unbeschränkte Zeit. Kennzeichnend für die entspr. psychol. Experimente ist, dass den Vpn alle Information zur Verfügung gestellt und künstliche Problemstellungen verwendet werden. Da unbegrenztes Wissen psychol. unrealistisch ist, werden diese Theorien oft als Als-ob-Theorien (statt Theorien über kogn. Prozesse) bezeichnet. In der Ökonomie sind Als-ob-Theorien die Regel, denn sie erlauben, die math. Werkzeuge der Optimierung anzuwenden.

Optimierung mit Randbedingungen: Eine zweite Klasse von Theorien versucht realistische Randbedingungen (constraints) zu berücksichtigen, aber dennoch das Ideal der Optimierung beizubehalten. Eine begrenzte Gedächtnisspanne etwa ist eine interne Randbedingung, Informationskosten eine externe Begrenzung. Modelle unbegrenzter Rationalität spezifizieren nicht, wie Information gesucht wird – der Entscheider verfügt ja über vollst. Wissen. Optimierung unter Randbedingungen modelliert dagegen Informationssuche unter einer oder mehreren Randbedingungen. Der Prototyp für entspr. Modelle ist Abraham Walds sequenzielle Entscheidungstheorie. Ein Kunde sucht bspw. so lange nach einem Gebrauchtwagen, bis die erwarteten Kosten einer weiteren Suche höher werden als der erwartete Nutzen. Dann wird die Suche abgebrochen. In Andersons rationaler Theorie des Gedächtnisses wird entspr. so lange nach einem Item gesucht, bis die erwarteten Kosten den Nutzen übersteigen (Anderson, 1990). Das Problem dieser Theorien ist: Je mehr realistische Randbedingungen berücksichtigt werden, desto komplizierter wird die math. Optimierung und – paradoxerweise – desto unrealistischer werden die kogn. Prozesse, die angenommen werden müssen. Das hat oft dazu geführt, dass man wieder zu einfacheren Theorien zurückgeht, die unbegrenzte Rationalität postulieren.

Ökologische Rationalität befasst sich mit der Passung von kogn. Strategien und der Umwelt. I. Ggs. zu beiden anderen Theorieklassen wird nicht Optimierung als notwendige Bedingung für rationales Verhalten gesehen, sondern die Passung zw. Kognition und Umwelt. In dieser adaptiven Sichtweise kann der Rationalitätsbegriff auf Situationen mit nicht vollst. bekannter Information angewendet werden. Frühe ökologische Theorien finden sich bei Egon BrunswikJ. J. Gibson und Herbert A. Simon. Nach Simons Scheren-Analogie (mit Kognition und Umwelt als die beiden Klingen) ist rationales Verhalten als Passung von kogn. Strategien und Umweltstrukturen zu verstehen und nicht alleine als das Ergebnis «interner» Prozesse wie die Konsistenz zw. Argumenten. Damit unterscheidet sich diese Form von Rationalität von jener psychol. Forschung, in der eine Regel der Logik oder Wahrscheinlichkeit als rational in allen Umwelten angesehen und abweichende Urteile als kogn. Fehler interpretiert werden. Simons Rationalität als Passung von kogn. Strategien und Umwelt wurde in dem Programm zur ökologischen Rationalität ausgearbeitet. Rationalität ist hier ein relativer Begriff: Eine Strategie (wie Bayes-Theorem) ist demnach nicht generell rational, sondern sie ist in einer Umwelt erfolgreicher als in einer anderen. Dieses Programm führt zu neuen Fragen wie nach der Identifikation von Umweltstrukturen, die best. kogn. Prozesse erst «rational» machen. Die Forschung zur ökologischen Rationalität hat neue Ergebnisse wie Weniger-ist-mehr-(less-is-more)-Effekte gezeigt, die es den anderen beiden Rationalitätskonzepten zufolge nicht geben sollte. kognitive Fehler.

Referenzen und vertiefende Literatur

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