Priming-Paradigma

 

[engl. priming paradigm], [KOG, SOZ], das Priming-Paradigma untersucht Priming mittels eines best. Versuchsablaufs auf einer Mikroprozessebene. Priming wird eingesetzt, um Gedächtnis-, Wahrnehmungs-, (motorische) Voraktivierungs- oder Aufmerksamkeitsphänomene zu untersuchen (Gedächtnis, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit). Beim typischen sequenziellen Priming (syn. immediate Priming; i. Ggs. zu long-term Priming, bei dem Effekte über längere Zeit (bis zu Monaten) anhalten) wird i. d. R. zunächst ein erster Reiz (Prime) präsentiert und anschließend ein zweiter Reiz, auf den der Pb so schnell und so korrekt wie möglich reagieren muss (Target). Typischerweise resultiert eine kürzere Reaktionszeit, wenn Prime und Target aufeinander bezogen oder miteinander assoziiert sind. Als Primingeffekt (in best. Fällen Kompatibilitäts-/Kongruenzeffekt) wird die Differenz zw. den Reaktionszeiten oder Fehlerraten in unrelatierten (inkompatiblen, inkongruenten) Durchgängen und in relatierten (kompatiblen, kongruenten) Durchgängen bez. Ein positiver (bzw. negativer) Primingeffekt bez. schnellere Reaktionszeit. und/oder geringere Fehlerraten. bei relatierten (bzw. unrelatierten) Durchgängen. Als neutrale Vergleichsbedingung können als Primes auch inhaltlich bedeutungslose Reize (z. B. Buchstabenketten, zerstückelte Bilder) eingesetzt werden.

Erklärungsansätze: (1) Es entstehen strategische Erwartungseffekte, weil auf den Prime mögliche Targetreize intern generiert werden oder rückwärtsgerichtet vom Target aus die Passung von Target und Prime überprüft wird. (2) Bei automatischen Primingeffekten wird davon ausgegangen, dass der Prime-Reiz im relatierten Fall partiell Teile des Target-Reizes voraktiviert, wodurch die Verarbeitung des Targets und die Reaktion darauf beschleunigt wird. (3) Ähnlich wie beim Stroop-Phänomen (Stroop-Verfahren) wird für die schneller ausgewertete Dimension (Stroop: Wortinhalt, Priming: Prime) die Verarbeitung der langsamer ausgewerteten Dimension (Stroop: Farbe, Priming: Target) erleichtert oder erschwert. Generell wird angenommen, dass mehrere Mechanismen zum jew. Primingeffekt beitragen. Wichtig beim Priming ist v. a. die Zeit zw. Prime-Beginn und Target-Beginn (stimulus-onset asynchrony (SOA), die meist höchstens einige hundert Millisekunden beträgt und variiert wird, um den zeitlichen Verlauf des Primings zu untersuchen. Um strategische Effekte auszuschließen, wählt man sehr kurze SOA und teilweise auch eine maskierte Präsentation (Maskierung) der Prime-Reize und/oder nur geringe relative Anteile relatierter Durchgänge. Prime und Target können versch. Reizarten entstammen und einer oder versch. Modalitäten zugeordnet sein. Reize können visuell am Bildschirm (z. B. Wörter, Zahlen, Bilder, bewegte Objekte) präsentiert werden, aber auch auditive (z. B. gesprochene Wörter, Klänge), taktile und olfaktorische Reize werden eingesetzt.

Repetition-Priming [syn. Wiederholungs-Priming, Identitäts-Priming]: Im relatierten Fall wird derselbe Reiz als Targetreiz und Prime-Reiz präsentiert. Der Targetreiz muss ausgesprochen, identifiziert oder nach einem vorgegebenen Schema klassifiziert (z. B. richtig/falsch geschriebenes Wort, Farbe des Reizes) werden. Repetition- basiert theoretisch auf einer perzeptuellen bis semantischen Voraktivierung des gezeigten Primes.

Response-Priming: [syn. Antwort-Priming, teilweise syn. Action-Priming; Schmidt et al., 2011]: Liegt vor, wenn im kongruenten Fall die Antwort auf das Target der meist nicht auszuführenden Antwort auf den Prime entspricht. Oft werden Repetition- und Response-Priming kombiniert. Response-Priming entsteht dadurch, dass im kongruenten Fall die motorische Reaktion bereits voraktiviert wird. Typische Reize, die im Response-Priming verwendet werden, sind geometrische Symbole, die identifiziert oder klassifiziert (z. B. Pfeile nach deren Richtung) werden sollen. Meist wird die Antwort mittels Tastendruck auf einer Tastatur abgegeben, teilweise werden auch Zeige- oder Augenbewegungen verlangt. Bei Response-Priming tritt unter best. Bedingungen (z. B. maskierter Prime und best. SOA) robust ein neg. Primingeffekt auf, der theoretisch über versch. Modelle (z. B. automatische Selbstinhibition, Reiz-getriggerte Inhibition, stimulus updating, evaluation window account) erklärt werden kann.

Semantisches Priming: Hier besteht eine semantische Beziehung zw. Prime und Target (McNamara, 2005; Semantik). Prime und Target sind z. B. Synonyme, Antonyme, Teile zus.gesetzter Wörter (z. B. Frucht-Fliege), oder Vertreter der gleichen semantischen Kategorie (z. B. Affe und Kuh aus der Kategorie Tier); Prime und Target teilen perzeptuelle (z. B. Pizza und Knopf haben die gleiche Form) oder funktionale (z. B. Glühbirne und Kerze haben eine ähnliche Funktion) Eigenschaften. Prime und Target sind über ein Skript miteinander assoziiert oder es handelt sich um über- und untergeordnete Begriffe innerhalb eines semantischen Netzwerks (z. B. Tier-Vogel-Rabe). Assoziative Prime-Target-Beziehungen liegen vor, wenn bei der Nennung des einen Begriffs mit hoher Wahrscheinlichkeit der andere Begriff produziert wird, wenn alle Begriffe produziert werden sollen, die zu dem ersten Begriff assoziiert werden (Normlisten; z. B. auf Affe wird häufig Banane produziert). Dies ist meist bei häufiger Kopplung zweier Begriffe im Sprachgebrauch gegeben. Semantische Prime-Target-Beziehungen liegen vor, wenn beide Begriffe nur gering miteinander assoziiert sind (z. B. Affe und Wal sind beides Tiere). Für eine reine semantische Beziehung zw. Prime und Target existiert höchstens eine sehr geringe Assoziation zw. den Begriffen. Bei einer asymmetrischen assoziativen Relation von Prime und Target (d. h., die Assoziation von Begriff 1 zu Begriff 2 ist stark ausgeprägt, von Begriff 2 zu Begriff 1 jedoch weniger stark; asymmetrisches Priming) kann weiterhin unterschieden werden, ob es sich um eine Vorwärts- (von Prime zu Target, z. B. Frucht-Fliege) oder eine Rückwärtsassoziation (von Target zu Prime, z. B. Fliege-Frucht) handelt. Ein rein semantisches Priming ist z. T. geringer ausgeprägt ist als Priming bei (zusätzlicher) assoziativer Beziehung zw. Prime und Target. Beim mediierten Priming oder indirekten Priming besteht die Beziehung zw. Prime und Target nur mittels mind. eines nicht präsentierten Bindegliedes (z. B. Löwe-Streifen über die Assoziation der beiden Begriffe zu Tiger). Die typische Aufgabe beim semantischen Priming ist, das Target entweder auszusprechen oder eine lexikalische Entscheidung vorzunehmen (z. B. Ist das Target ein Wort oder kein Wort?). Beim semantischen Priming ist die Antwort auf das Target auch im relatierten Fall nicht durch den Prime vorhersagbar.

Erklärungsansätze: (1) Frühe Modelle, spreading activation models: Es wird ein semantisches Netzwerk mit Knoten für einzelne Konzepte und Verbindungen zw. den Knoten angenommen. Die Präsentation eines Reizes führt zur Aktivierung des Knotens und die Aktivierung sprießt automatisch zu verbundenen Knoten weiter, wodurch diese bereits teilweise voraktiviert werden. Wenn nun ein so voraktiviertes Konzept als Targetreiz erscheint, kann schneller darauf reagiert werden. (2) Akt. Theorien gehen davon aus, dass Konzepte in verteilten Netzwerken repräsentiert sind (also nicht aus einem einzigen Knoten bestehen) und bei der Präsentation eines Reizes die dazugehörige verteilte Repräsentation aktiviert wird. Ein Konzept kann schneller verarbeitet werden, wenn Teile der verteilten Repräsentation bereits voraktiviert sind, z. B. durch überlappende oder geteilte Eigenschaften von Prime und Target. Die Überführung der Prime- in die Targetrepräsentation kann bei relatierten Konzepten schneller erfolgen. (3) Compound-Cue-Theorien nehmen an, dass semantische Priming-Effekte auf der Verarbeitung der kombinierten Prime-Target-Episode basieren, wobei bei relatierten Prime-Target-Paaren die Vertrautheit (familiarity) der Episode höher ist als bei unrelatierten Paaren, bei denen man zusätzliche Verarbeitungszeit benötigt. Auch bei semantischem Priming treten unter best. Bedingungen (z. B. wiederholte Maskierung Prime = Kategoriebegriff, Target = Kategorievertreter) neg. Primingeffekte auf, die theoretisch z. B. durch Center-Surround-Inhibitions-Modelle oder den Ansatz der retrospektiven Prime-Aufklärung erklärt werden können.

Affektives Priming, Evaluatives Priming: Ist im typischen Fall eine Variante des Response-Priming, bei der affektive (auch valente oder emot.) Reize eingesetzt werden und das Target nach seiner Valenz klassifiziert werden muss (evaluative Entscheidungsaufgabe: Ist der Reiz pos. oder neg.?) (Fazio, 2001). Im weniger typischen Fall muss das Target anderweitig kategorisiert (z. B. lebendig/nicht lebendig oder lexikalische Entscheidungsaufgabe) oder ausgesprochen werden (Variante des semantischen Primings). Die Ergebnisse sind in diesem Fall jedoch nicht einheitlich, häufig werden Nulleffekte oder sogar auch neg. Primingeffekte gefunden.

Affektives Priming wird auch in der Vorurteilsforschung und Einstellungsforschung eingesetzt. Bei der typ. Variante des affektiven Primings wird angenommen, dass der Primingeffekt vorwiegend auf Antwortvoraktivierung im kongruenten Fall und Antwortkonflikt im inkongruenten Fall basiert. Bei der weniger typischen, an semantisches Priming angelehnten Variante werden z. B. semantische Voraktivierung über die Valenz (Überlappung der Valenzanteile im kongruenten Fall), assoziative Voraktivierung, affektives Matching (automatischer Abgleich, ob Prime und Target spontan zus.passen) oder Stroop-ähnliche Verarbeitungsmechanismen als zentral angenommen. Auch beim affektiven Priming treten unter best. Umständen neg. Priming-Effekte auf, die z. B. durch den evaluation window account erklärt werden können. Affektives Priming in dem beschriebenen Sinne ist zu unterscheiden von dem affektiven Priming sensu Murphy und Zajonc, bei dem den Pbn zuerst kurz und meist subliminal ein valenter Reiz (z. B. ein ärgerliches Gesicht, subliminale Reize) und anschließend ein klar sichtbarer neutraler Reiz (z. B. chinesisches Schriftzeichen) gezeigt werden. Diesen neutralen Reiz sollen die Pbn nach seiner Valenz beurteilen. Hierbei zeigt sich häufig, dass der subliminale Prime die Beurteilung des supraliminalen Reizes beeinflusst, sodass neutrale Reize z. B. nach ärgerlichen/freundlichen Reizen auch eher als ärgerlich/freundlich beurteilt werden.

Weitere Priming-Varianten: Bei episodischem Priming werden die Assoziationen zw. Reizen oder die Bedeutungen von Reizen erst im Laufe des Experiments oder in einer vorgeschalteten Studierphase erworben. Bei phonologischem, phonemischem oder Homophon-Priming ähneln sich Prime- und Targetreiz in ihrer Aussprache (z. B. Blume-Bluse, Volt-wollt oder Reimwörter), bei orthografischem Priming ist die Schreibweise der Primingreize und Targetreize ähnlich (z. B. ebenfalls Blume-Bluse). Bei Übersetzungs-Priming entstammen Prime- und Targetwörter aus unterschiedlichen Sprachen, die Beziehung kann phonologisch, orthografisch, affektiv, semantisch etc. sein. Integratives Priming entsteht, wenn Prime und Target weder assoziiert, noch semantisch relatiert, noch ähnlich sind, jedoch leicht miteinander in eine gemeinsame Repräsentation integriert werden können (z. B. Pferd-Doktor). Bei syntaktischem Priming sind die Satzstruktur von Prime und Target im relatierten Fall gleich, im unrelatierten Fall versch. In allen diesen Fällen werden typischerweise Aussprech-, Identifikations- oder lexikalische Entscheidungsaufgaben verwendet. Prozedurales Priming bezieht sich auf kogn. Prozeduren oder Operationen, deren Anwendung schneller möglich ist, wenn vorher bereits die gleiche Operation auszuführen war als bei versch. nacheinander erforderten Operationen (vgl. Aufgabenwechsel).

Negative-Priming: Hier handelt es sich um eine sequenzielle Abfolge zweier Displays (es gibt visuelle, auditive und taktile Varianten des Negative-Priming), wobei im typischen Fall eine Reaktion auf das Prime- und das darauffolgende Probedisplay erfolgt (Tipper, 2001). In beiden Displays werden typischerweise Zielreize, auf die reagiert werden muss, und Distraktorreize präsentiert (vgl. auch Eriksen-Flanker-Aufgabe). Meist muss die Identität der Zielreize (identitätsbasiertes Negative-Priming) oder die Position/Lokation der Zielreize (lokationsbasiertes Negative-Priming) entweder per Aussprache oder per Tastendruck angegeben werden. Es werden meist folg. Konstellationen realisiert: (1) attended repetition (AR, Beachtetes wiederholt), d. h., der Zielreiz im Primedisplay entspricht dem Zielreiz im Probedisplay, (2) ignored repetition (IR, Ignoriertes wiederholt), d. h., der Zielreiz im Probedisplay entspricht dem Distraktorreiz im Primedisplay, (3) control (C, Kontrolle), d. h., die Ziel- und Distraktorreize in Prime- und Probedisplay sind alle versch. Der Negative-Priming-Effekt bezieht sich auf den Vergleich der Bedingungen IR und C. Im Ggs. zu der typischerweise schnelleren Bearbeitung von vorher bereits präsentierten Reizen ist beim Negative-Priming nämlich die Reaktion in IR-Durchgängen langsamer als in C-Durchgängen, obwohl in IR-Durchgängen die Distraktorreize aus dem Primedisplay im Probedisplay (als Zielreiz) wiederholt werden (die schnellsten Reaktionen sind in AR-Durchgängen zu beobachten).

Erklärungsansätze: (1) Inhibitionsmodelle gehen davon aus, dass die Distraktorreize aktiv inhibiert werden müssen. Um dann auf den im Primedisplay zu ignorierenden Reiz, der noch inhibiert ist, reagieren zu können, muss zunächst die Inhibition überwunden werden, was mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Aktivierung von einer Baseline aus ohne vorherige/aktuelle Inhibition zu starten (was bei C-Durchgängen der Fall ist). (2) Gedächtnistheorien (z. B. episodic retrieval) gehen im Ggs. zu Inhibitionstheorien davon aus, dass Negative-Priming durch Gedächtnisphänomene (nicht durch Aufmerksamkeitsprozesse, ) zustande kommt. Negative-Priming wird in erster Linie durch eine Interferenz von abgerufener Information (Prime-Information) und aktueller Information des Probedisplays erklärt. Bei jedem Display werden die im Display enthaltene Information über die Reize und die Reaktions- und Reagiere-nicht-Information auf die Reize in einer gemeinsamen Gedächtnisepisode gespeichert. Im nächsten Display wird, sobald ein Reiz einem vorher präsentierten Reiz entspricht, die damit vorher verbundene Reaktion (oder die Information, dass die Reaktion auf einen Reiz zu unterbinden ist = Reagiere nicht!) abgerufen. Sofern der Targetreiz des Probedisplays dem Distraktorreiz des Primedisplays entspricht, wird nun im Probe zuerst die Reagiere-nicht-Reaktion abgerufen. Erst nach Überwindung dieser Reaktion (und damit langsamer als auf einen neuen Reiz, zu dem weder Reaktions- noch Reagiere-nicht-Information gespeichert ist) kann auf das Target reagiert werden. Daneben werden noch weitere Theorien diskutiert, z. B. die Temporal-Discrimination-Theorie oder die Feature-Mismatching-Theorie.

Es bestehen inzw. auch semantische und affektive Varianten des Negative-Primings (Semantisches Negative-Priming, Affektives Negative-Priming oder Negative-Affective-Priming = NAP), bei denen nicht die gleichen Reize in Prime und Probe verwendet werden, sondern hier entstammen die Distraktor- und Zielreize der gleichen semantischen oder affektiven Kategorie (z. B. für einen IR-Durchgang im NAP: Liebe als Distraktor und Waffe als Zielreiz im Primedisplay, und Glück als Zielreiz im Probedisplay).

Referenzen und vertiefende Literatur

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