Organisationswahl

 

[engl. choice of organisation], [AO, KOG, PER, SOZ, WIR], bezeichnet die Entscheidung eines Individuums für eine Organisation. Die Entscheidung besteht darin, Mitglied der Organisation in abhängiger Beschäftigung zu werden. Üblicherweise werden Organisationen und Arbeitsplatzwahl [organizational choice und job choice] gemeinsam behandelt, auch wenn die Organisationswahl die Entscheidung für einen best. Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz dominieren kann. Als Methoden zur Analyse von Entscheidungen (Entscheiden) kommen neben Befragungen zur Bedeutung von Merkmalen exp. Studien, in denen hypothetische Organisation beschrieben und deren Merkmale gezielt variiert werden, sowie Prozessanalysen auf der Grundlage verbaler Protokolle zum Einsatz. Zentrale Forschungsfragen lauten: (1) Welche Arbeitsplatzalternativen werden überhaupt in Erwägung gezogen? (2) Nach welchen Kriterien wird zw. versch. Arbeitsplatzalternativen entschieden? (3) Wie werden Informationen über versch. Kriterien kombiniert? (4) Ab wann kommen Bewerber zum Ergebnis, eine akzeptable Entscheidung zu fällen?

Organisationswahl als Entscheidungsproblem: Nach Erwartung-Wert-Modellen (Erwartung-Wert-Theorien) entscheiden sich Menschen für diejenigen Alternativen, die ein pos. Ergebnis erwarten lassen und einen hohen persönlichen Wert haben. Genauer gesagt lässt sich die Tendenz, einen best. Arbeitsplatz zu wählen, wie folgt bestimmen:

F_%7Bj%7D%3Df%5Cleft%20%5B%20%5Csum_%7Bk%3D1%7D%5E%7Bn%7D%5Cleft%20(%20V_%7Bk%7D%5Ccdot%20I_%7Bjk%7D%20%5Cright)%5Ccdot%20E_%7Bj%7D%20%5Cright%20%5D

Dabei bedeuten:

F_%7Bj%7D = Tendenz, den Arbeitsplatz j zu wählen

E_%7Bj%7D = subj. Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzangebots

V_%7Bk%7D = Valenz des Arbeitsplatzmerkmals k

I_%7Bjk%7D = Instrumentalität des Arbeitsplatzes j, das Arbeitsplatzmerkmal k zu erlangen.

Die Tendenz, den Arbeitsplatz j zu wählen (Fj), hängt von der Summe der Produktterme aus der Valenz der Arbeitsplatzmerkmale und der Instrumentalität der jew. Arbeitsplätze ab, die mit der subj. Wahrscheinlichkeit, ein Arbeitsplatzangebot zu erhalten, multipliziert wird. Die Summe der Produktterme (Valenz x Instrumentalität) wird als Attraktivität bezeichnet. Statt der Tendenz, den Arbeitsplatz j zu wählen, ist oft auch vom Aufwand, der Organisation beizutreten, also der Bewerbungsbereitschaft, die Rede. Wesentliche Kritikpunkte an der Anwendbarkeit des Erwartungs-Wert-Modells auf das Problem von Arbeitsplatz- und Organisationswahl sind (Van Eerde & Thierry, 1996): (1) Die Valenzwerte sind kaum von Schätzungen der Bedeutung von Arbeitsplatzmerkmalen unterscheidbar. Zudem zeigte sich, dass Valenz über Instrumentalität hinaus nichts zur Vorhersage der Wahlentscheidung beiträgt. Allerdings ist die Einschränkung zu machen, dass bei diesen Untersuchungen die Gesamtattraktivität des Arbeitsplatzes die eigentliche Arbeitsplatzwahl als abhängige Variable ersetzte. (2) Das Konzept der Erwartung (Ej) ist sehr schwierig verständlich zu machen, insofern viele Personen mit dem Begriff der subj. Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzangebots nicht bes. gut zurechtkommen. (3) Die Annahme, dass Individuen während des Bewerbungsprozesses Erwartungen und Valenzen (bzw. Attraktivität) multiplikativ kombinieren, lässt sich empirisch nicht halten. Additive Modelle der Integration von Erwartung und Valenz bzw. Attraktivität bilden das tatsächliche Entscheidungsverhalten besser ab als multiplikative Modelle. (4) Einige der beteiligten Variablen weisen in Felduntersuchungen eine Varianzeinschränkung auf. Bspw. werden best. Organisationen praktisch von vornherein nicht in Betracht gezogen, wenn die subj. Erfolgswahrscheinlichkeit, den Arbeitsplatz zu erhalten, nahe null ist. Diese macht die Verallgemeinerbarkeit der in Laborexperimenten gewonnenen Ergebnisse zum Erwartungs-Wert-Modell fraglich. (5) Das Erwartungs-Wert-Modell unterstellt im Wesentlichen den simultanen Vergleich mehrerer Arbeitsplatzangebote. Dagegen sprechen aber Befunde, nach denen Bewerber oft eine sequenzielle Strategie verfolgen, d. h. Angebote nacheinander prüfen. Werden dann z. B. best. Minimalstandards hinsichtlich Bezahlung oder Arbeitszeit erfüllt, so wird ein Arbeitsplatzangebot als akzeptabel eingeschätzt und die Arbeitsplatzsuche abgebrochen.

Aus der Perspektive eines Erwartungs-Wert-Modells bleibt es zunächst offen, welche alternativen Arbeitsstellen in Erwägung gezogen werden. Für Organisationen ist es aber gerade interessant, ob sie für potenzielle Bewerber überhaupt infrage kommen. Und schließlich ist das Erwartungs-Wert-Modell ebenfalls indifferent gegenüber der Frage, worin genau der Aufwand oder gar die Kosten einer Entscheidung (z. B. umfassendes Informieren und Abwägen) bestehen. Diese Frage ist nicht nur für den Entscheider – in diesem Falle Bewerber –, sondern auch für die Entscheidungsfindung der Organisation relevant: Organisationen sind nicht nur daran interessiert, was Bewerber wollen, sondern auch, welche Kosten der Entscheidung sie bereit sind, auf sich zu nehmen. Drei Teilfragestellungen sind hier zu unterscheiden, (1) die Kosten der Alternativensuche und -wahl (z. B. Zeitaufwand, Anstrengung, Gebühren für Internetrecherchen oder Telefonate, Opportunitätskosten), (2) die Kosten der Alternativenprüfung (z. B. Zeitaufwand für Vorstellungsgespräche, Unsicherheit über die Qualität der Entscheidung, Frustration über Bewerbungsversuche) und (3) Kosten der Realisierung einer Entscheidung (Folgekosten wie z. B. Umzug, Erleben von Enttäuschungen, Trennung vom Lebenspartner).

Organisationswahl und Reziprozitätskonzepte: Organisationswahl besteht nicht nur darin, ein «Produkt» zu wählen, sondern darüber hinaus auch eine Beziehung einzugehen. Eine Möglichkeit, sich dieser Frage systematischer zu nähern, besteht in einem Rückgriff auf vier Reziprozitätskonzepte, auf deren Grundlage Organisationswahl analysiert werden kann. Nach einer Kosten-Nutzen-Perspektive (Kosten-Nutzen-Kalkulation) wägen Bewerber ab, was sie von der Organisation erhalten können und was sie als angemessene Gegenleistung zu geben bereit und fähig sind. Sie entscheiden sich dann für die Alternative, die sie für ihre Arbeitskraft am besten bezahlt. Organisationswahl kann aber auch aus einer Gleichheitsstreben-Perspektive vorgenommen werden. Danach entscheiden sich Bewerber für solche Beschäftigungsverhältnisse, in denen ein faires, ausgeglichenes Verhältnis von Geben und Nehmen besteht. Die Bereitschaft, sich zu Teams oder Netzwerken zus.zuschließen, ist vor diesem Hintergrund verständlich zu machen: Die Organisation ist so lange attraktiv und die Mitgliedschaft wird aufrechterhalten, wie ein Gleichgewicht besteht. Die zumindest vordergründige Inkaufnahme eines Ungleichgewichts findet im Kontext der Hierarchie-Perspektive statt, innerhalb derer Schutz und Versorgung gesucht wird und dafür Unterordnung stattfindet sowie Abgaben (z. B. Lohnverzicht) zur Verfügung gestellt werden. Wer primär zunächst einmal überhaupt einen (sicheren) Arbeitsplatz sucht, nimmt nach dieser Überlegung eher eine «Abgabe» in Kauf. Zwar dürfte dies nicht dazu führen, dass jeder Arbeitsplatz angenommen wird, in der Tendenz ist aber unter diesen Bedingungen mit einem stark vereinfachten Entscheidungsprozess zu rechnen. Ungewöhnlich mag schließlich die Fähigkeit-Bedarf-Perspektive klingen, wonach Bewerber solche Organisationen attraktiv finden, die sich an der Maxime des Versorgtseins orientieren. Eine religiöse Gemeinschaft kann hier als Bsp. dienen, in der jeder nach seinen Fähigkeiten zum Gesamtergebnis beisteuert und entspr. seiner Bedürftigkeit versorgt wird.

Organisationswahl als Identitätsproblem: Entscheidungen von Bewerbern können auch unter Zuhilfenahme des Konzepts der subj. Passung von Person und Organisation erklärt werden (Uggerslev et al., 2012), dass sich also Bewerber für solche Organisationen entscheiden, deren wahrgenommene Merkmale dem Selbstbild des Individuums am ähnlichsten sind. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang, welche Facetten des Selbst (z. B. Werte, Persönlichkeitsmerkmal; Identität und Selbst) hier relevant sind und wie die Merkmale der Organisation zu erfassen sind (Merkmale der Organisationsmitglieder vs. Merkmale, von denen die Organisationsmitglieder meinen, dass sie von allen geteilt werden). Belege für die Bedeutung wahrgenommener Passung von Individuum und Organisation finden sich z. B. bei Moser (2004), wonach dies tatsächlich zur Homogenisierung von Persönlichkeitsausprägungen und Werthaltungen in Organisationen beiträgt. Dies stellt für Organisationen, die nach Diversität in der Belegschaft streben, eine Herausforderung dar.

Für den Einzelnen hat die Organisationswahl i. d. R. erhebliche Konsequenzen. Eine Erklärung für das Auftreten vermeintlich suboptimaler Entscheidungen könnte darin gesucht werden, dass die Suche nach und Sichtung von Informationen kostspielig sein dürfte, was Entscheider – zu Recht – berücksichtigen. Vermutlich dürfte aber auch bei Organisationswahlentscheidungen nicht nur das Kriterium «möglichst gute Entscheidung» eine Rolle spielen, sondern auch Anstrengungsvermeidung, das Vermeiden neg. Emotionen oder die Rechtfertigbarkeit der Entscheidung (Moser & Wolff, 2007). Ein solch erweitertes Verständnis von Rationalität bei Entscheidungen könnte in Zukunft zum besseren Verständnis der Organisationswahl von Individuen beitragen. Aus der Sicht der Organisation ist vor allem interessant, welche Effekte die unterschiedlich gute Passung von Individuum und Organisationen haben. Belege wurden u. a. für Zusammenhänge mit Fluktuation, Einstellung, Stress und Leistung gefunden (Kristof-Brown et al., 2005). 

Referenzen und vertiefende Literatur

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