Kulturvergleichende Psychologie

 

[engl. comparative cultural psychology], [PER, SOZ], bez. einen Zugang der Ps. zur Kultur, der in der naturwiss. orientierten Tradition der Ps. steht. Die Kultur wird als eine unabhängige Variable angesehen, die außerhalb des Individuums existiert. Diese nomothetisch, ethisch-positivistisch ausgerichtete kulturvergleichende Psychologie konzentriert sich auf die Erfassung von als allg. gültig def. Gesetzmäßigkeiten indiv. Verhaltens und Erlebens. Dabei prüft sie, ob die mithilfe experimentalpsychol. Methoden (Experiment) unter streng kontrollierten Laborbedingungen – meist an Studenten aus der nordamerik. und europäischen Mittelschicht erhobenen – Daten und die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Gesetzmäßigkeiten universelle Gültigkeit beanspruchen können. Dazu werden Pbn, die unter versch. kult. Bedingungen (national-, stammes-, gesellschaftssystem-kult. etc.) sozialisiert worden sind, in standardisierten exp. Settings getestet. Zudem werden standardisierte Fragebögen in der Muttersprache der Pbn zur Bearbeitung vorgelegt, die i. d. R. von Psychologen aus Nordamerika und Europa entwickelt und erprobt wurden. I. d. R. wird geprüft, wie hoch der Grad an (Nicht-)Übereinstimmung zw. den Pbn aus unterschiedlichen Kulturen ist. Gesucht wird also nach Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Wahrnehmung, den Kognitionen, den Emotionen und dem Verhalten bei Menschen, die unterschiedliche kulturspezif. Orientierungssysteme verinnerlicht haben.

Aufgaben und Ziele der kulturvergleichenden Psychologie sind nach Straub & Thomas (2003): (1) Erweiterung der Erkenntnisse über kult. Differenzen. (2) Beschreibung und Analyse kult. Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung, im Denken, in den Emotionen und im Handeln. (3) Entdecken neuartiger Phänomene und Aspekte im Kontext psychol. Determinanten von Verhalten und Erleben in unterschiedlichen Kulturen (4) Analyse der Einflüsse sich wandelnder kulturspezif. Orientierungssysteme auf das indiv. Erleben und Verhalten einerseits und die Verfestigung und Veränderung kult. Lebensformen durch das Verhalten von Personen und Gruppen. (5) Anwendung kulturvergleichender Forschungsergebnisse bei der Lösung von Kommunikations- und Kooperationsproblemen (Kommunikation, interkulturelle) zw. Menschen unterschiedlicher Kulturen (6) Erfüllung einer normativen Zielsetzung dergestalt, dass gerade die auf universelle Erkenntnisse abzielende Wissenschaft der Vielfalt und Individualität menschlicher Lebensformen und Kulturen Rechnung zu tragen hat (Thomas, 2008).

Obwohl viele Erkenntnisse über die genetische Bedingtheit menschlichen Verhaltens und Erlebens gewonnen wurden (Verhaltensgenetik), besteht unter Humangenetikern, Anthropologen, Psychologen und kulturvergleichenden Forschern Einigkeit, dass die konkreten handlungssteuernden Wahrnehmungsprozesse, Kognitionen, Emotionen und Motive sowie die Vorstellungen und Einstellungen des Individuums bzgl. seiner physischen und sozialen Existenz und Umwelt und die Fähigkeit, damit konstruktiv, lebenserhaltend und lebensbereichernd umzugehen, erst in der Ontogenese entwickelt und stabilisiert werden. Menschen wachsen in der Interaktion mit ihren jew. soziokult. Lebensbedingungen auf, die einen hohen Anteil an der jew. Ausformung der physischen und psych. Vorgänge haben.

Die kulturvergleichende Psychologie befasst sich i. R. ihrer Forschung und Theoriebildung mit allen klassischen Themenfeldern der Ps. (Thomas, 2003a; Trommsdorff & Kornadt, 2007; Berry et al., 1997): (1) historische Entwicklungsverläufe und theoret. Ansätze (Kulturkonzepte, Universalismus (ethisch)/Kulturrelativismus (emisch), kulturpsychol. Orientierungen, historische Entwicklungslinien, evolutionsth. Ansätze, Entwicklung kult. Vielfalt, verhaltensbiol. Perspektiven); (2) Methodologische Aspekte und Methoden des Kulturvergleichs; (3) soziokult. und ökologische Kontexte (Familiensysteme, Menschenbilder, ökokult. Perspektiven, Werte, Werthaltungen, Valenzen, Weltbilder/Religionen, Spiritualität, soziokult. Konstruktionen impliziten Wissens); (4) Teilgebiete der Ps.: Wahrnehmung, soziale Kognitionen, Entwicklung, Persönlichkeit, Aggressionen/Kriminalität, Gender/Sexualität, Kindheit, Jugend, Sozialisation, Intergruppenbeziehungen, verbale und nonverbale Kommunikation, Spracherwerb, Problemlösen; (5) angewandte Kulturforschung: Migration und Akkulturation, kulturbedingte Begegnungskonflikte, Interkulturelle Kompetenz, interkulturelles Training, Schulausbildung, Organisationskultur, Organisationsklima, Werbung, Krankenversorgung/GesundheitPsychopathologie und Psychotherapie.

Die weitere Entwicklung der kulturvergleichenden Psychologie hat, angelehnt an Trommsdorff & Kornadt (2007), folg. Aspekte zu beachten: (1) Es ist eine Balance in der Behandlung von Ähnlichkeiten und Unterschieden zw. Kulturen herzustellen. (2) Bei der Analyse der Interaktion zw. Individuum und Kulturen wird oft nur eine Kulturdimension, z. B. Individualismus vs. Kollektivismus, im Vergleich mit Personen aus nur zwei Kulturen beachtet. (3) Der Plurikulturalität der Lebenswirklichkeit ist mehr Bedeutung zuzumessen. (4) Die Bedeutung komplexer sozioökonomischer Rahmenbedingungen und Besonderheiten in politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systemen für grundlegende Persönlichkeitsmerkmale ist in Betracht zu ziehen. So ist zw. afrikanischen, indischen und chinesischen Kulturen, zw. städtischen und ländlichen Lebensumständen, zw. traditionellen und modernen, zw. traditionellen und industriellen Kulturen zu unterscheiden. (5) Nicht nur synchrone Kulturunterschiede, sondern auch diachrone Vergleiche innerhalb einer Kultur sind stärker zu beachten. (6) Es bestehen erhebliche meth. Probleme in der kulturvergleichenden Forschung. So bedarf es der Entwicklung und Absicherung von kulturäquivalenten Verfahren der Datenerhebung (Testfairness). Zudem sind meth. adäquate Instrumente zu entwickeln, um sprachliche Äußerungen, soziale Interaktionen und Überlieferungen zur Erfassung von Kulturspezifika zu nutzen. (7) Die angloamerik. und europäische Dominanz im Forschungsfeld der kulturvergleichenden Psychologie ist einer plurikult. Weltgesellschaft nicht angemessen und fordert deshalb zur stärkeren Berücksichtigung indigener psychol. Themen, Perspektiven und Konzepte heraus. (8) Die kulturvergleichende Forschung ist präziser als bislang geschehen als interkult. Handeln aufzufassen, zu analysieren und zu behandeln. Indigene Psychologie, kognitive Kompetenzen, Kulturpsychologie, Kulturvergleich.

Referenzen und vertiefende Literatur

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