Interview, biografisches

 

[engl. biographical interview], [AO, DIA, FSE], orientiert sich ähnlich wie andere Interview-Konzepte des eignungsdiagn. Bereichs (Interview, eignungsdiagnostisches) wesentlich an der Biografie des Kandidaten – gemäß der Maxime «The best prophet of the future is the past». Theoretische Basis ist die Annahme von Konsistenz im Verhalten. Allerdings ist die Biografieorientierung des biografischen Interviews umfassender und tiefer gehend als die anderer Interview-Konzepte. Um das zu erreichen, ist es hinsichtlich Aufbau und Thematiken in besonderer Weise strukturiert, nicht jedoch in Fragenformulierungen und Antwortenauswertungen standardisiert. Die Konzeption des biografischen Interviews wurde von Sarges (1990, 2013c) vorgeschlagen, weil zur Eignungseinschätzung von Kandidaten für komplexere Funktionen in Management- oder Experten-Positionen standardisierte Fragen nur noch teilweise funktional und darüber hinaus dieser Klientel nicht mehr zumutbar sind.

Zur mangelnden Funktionalität standardisierter/direkter Fragen: In der Management-Diagnostik geht man von einer hohen Bedeutsamkeit von Motiven aus, da Wollen-Faktoren (Motiv) gegenüber Können-Faktoren (Fähigkeit, Fertigkeit) umso einflussreicher werden, je unabhängiger ein Funktionsträger über das «Ob», «Was» und «Wie» seiner Handlungen bestimmen kann. Ein prominentes Bündel einflussreicher Motive in diesen Tätigkeitsbereichen ist die Trias von Leistungsmotiv, Machtmotiv und Bindungsmotiv (Sarges, 2013e). Diese Motive bestehen jew. aus zwei Schichten: Die obere Schicht beherbergt die expliziten (dem Bewusstsein zugänglichen) Motivanteile; direkte Fragen können i. d. R. unverfälscht beantwortet werden. Die untere Schicht beherbergt die impliziten (dem Bewusstsein nicht unmittelbar zugänglichen) Motivanteile, die sich nur mit indirekten Methoden zutage fördern lassen. Im Interview erfolgt dies durch indirekte Gesprächssteuerung und unstandardisiertes Nachfragen (Sarges, 1995a). Es kommt also nicht nur auf die expliziten, sondern auch und bes. auf die impliziten Motive (Motivationsdiagnostik) an, denn es gibt zur prognostischen Validität dieser beiden Motivfacetten eine beachtenswerte Befundlage: Implizite Motive sagen selbstinitiatives Verhalten in offenen Situationen auch über längere Zeiträume vorher, explizite Motive eher nur vorgabenorientiertes Verhalten in umgrenzten, stärker regulierten Arbeitssituationen (Brunstein, 2003). Offene, schwach strukturierte Situationen sind z. B. bei Management-Funktionen von derart zentraler Bedeutung, dass man auf Verhaltensprognosen in dieser Hinsicht gar nicht verzichten kann. Zusätzlich sind natürlich auch bei höherrangigen Kandidaten neben Motiven (Wollen-Faktoren) die zumindest gleichermaßen wichtigen Fähigkeiten/Fertigkeiten (Können-Faktoren) zu berücksichtigen. Doch sind diese i. d. R. leichter zu explorieren.

Zur Zumutbarkeit (Akzeptanz) von standardisierten Fragen: Sie sinkt in dem Maße, wie der Rang der Positionen, für die ausgewählt oder entwickelt werden soll, steigt. Gerade höherrangige Kandidaten legen auch in formaleren Gesprächen gesteigerten Wert darauf, in besonderer Weise als Individuen angesehen und behandelt zu werden. D. h., dass man ein differenzierteres Vorgehen wählen und die nötigen Informationen weitgehend idiografisch beschaffen sollte. Diese Personen bevorzugen indiv. abgestimmte Fragen und Nachfragen und wertschätzen eine verstehensgeleitete Exploration ihres ausbildungsmäßigen und beruflichen Lebenslaufs. Aus den Antworten «werden als bedeutsam erachtete Aussagen und Themen sowie inhaltliche Zusammenhänge extrahiert, die entweder als nur für die einzelne Person gültig oder aber als für definierte Gruppen repräsentativ interpretiert werden» (Weber, 2005, 129). Zu dieser Art der Bewertung von Antworten in mehr explorativen Interviews informiert Westhoff (2009).

Gesteigerte Funktionalität und Akzeptanz durch nicht standardisiertes Frageverhalten, das allerdings hochgradig ziel- und regelgeleitet ist, dürften sich pos. auf die Validität auswirken. Für die Konstruktvalidität des biografischen Interviews lässt sich dies begründet annehmen (Sarges, 2013d), für seine prognostische Validität liegen aber noch keine empirischen Daten vor. Personalauswahl.

Referenzen und vertiefende Literatur

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