Gestaltpsychologie

 

[engl. Gestalt psychology], [PHI, WA], eine psychol. Richtung, die 1912 durch Wertheimer (Berliner Schule) mit seinen Untersuchungen über das stroboskopische Sehen begründet wurde, nachdem der Begriff der Gestalt 1890 von v. Ehrenfels in die Ps. eingeführt worden war (Ehrenfels, 1890). Die bedeutendsten Vertreter der Gestaltpsychologie sind Köhler, Koffka, Lewin. Die hauptsächlichen Anschauungen der Gestaltpsychologie können mit Vorteil an ihrer Gegensätzlichkeit zu den Grundsätzen der folgenden Auffassungen deutlich gemacht werden: (1) Elementenpsychologie, (2) Assoziationspsychologie, (3) Maschinentheorie, (4) Österreichische Schule, Grazer Schule, (5) herkömmliche Methodik.

Im Ggs. zur Elementenps. zeigt die Gestaltpsychologie, dass das Psychische sich nicht aus einzelnen Elementen zus.setzt, sondern sich ursprünglich immer als Gestalt vorfindet. So ist z. B. die Erscheinungsweise eines grauen Farbflecks ganzheitlich bestimmt, d. h., der Farbfleck kann je nach Helligkeit des Umfeldes alle Nuancen von fast weiß bis fast schwarz annehmen. – Im Ggs. zur Assoziatiationsps. macht die Gestaltpsychologie geltend, dass Ganzheit nicht durch ein räumliches oder zeitliches Zusammentreffen ihrer Teile entsteht, sondern sich nach ganz best. Gestaltgesetzen organisiert. – Im Ggs. zur Maschinentheorie entwickelt die Gestaltpsychologie die Auffassung einer sich spontan regulierenden dynamischen Ganzheit des Psychischen. Danach werden die Teile durch ganzheitliche Kräfte zu einer Ganzheit zus.geschlossen und nicht im mechanischen Sinne durch einzelne Kraftwirkungen wie Druck oder Zug zus.gehalten. Diese Anwendung des Grundprinzips der Gestaltpsychologie auf die psych. Dynamik findet ihre treffendste Kennzeichnung in dem aus der Physik übernommenen Begriff des Feldes. – Im Ggs. zum Gestaltbegriff der Österreichischen Schule wies die Gestaltpsychologie nach, dass die Gestalt nicht zu den einzelnen Elementen hinzutritt, sondern genetisch und funktional vor diesen gegeben ist. – In meth. Hinsicht ist für die Gestaltpsychologie der phänomenologische Aspekt kennzeichnend (Phänomen, phänomenologische Methoden). Prinzipiell wird von den im Erleben unmittelbar gegebenen Erscheinungen ausgegangen und niemals von Annahmen, die aus anderen Wissensgebieten abgeleitet sind. Die theoret. Grundbegriffe der Gestaltpsychologie wurden zunächst vorwiegend auf dem Gebiet der Wahrnehmung entwickelt, wurden aber später auf alle anderen Gebiete der Ps. übertragen: Gedächtnis (Köhler, v. Restorff), Denken (Wertheimer, Duncker), Lernen (Köhler, Lewin), Entwicklung (Koffka), Handlung (Lewin, Koffka). Zur Anwendung gestaltpsychol. Gesichtspunkte auf das Handeln durch Lewin wurde v. a. der Begriff des Lebensraumes als eine dynamische Ganzheit aller für das Handeln wirksamen Momente bedeutsam (topologische und Vektor-Psychologie). Die Übertragung gestaltpsychol. Gesichtspunkte auf die Physiologie und vor allem Hirnphysiologie (Neurophysiologie) wurde von Wertheimer und Köhler vorgenommen. Die gestaltpsychol. Hypothesen im Bereich der Physiologie werden dabei allg. als Gestalttheorien bezeichnet. Aufgrund der gestaltpsychol. Interpretation physiol. und hirnphysiol. Prozesse (phänomenales Feld) kann der Zusammenhang zw. psych. und neurophysiol. Prozessen nach dem Isomorphieprinzip verstanden werden, das besagt, dass sich die psych. und physiol. Prozesse in ihrer ganzheitlichen Struktur entsprechen.

Insbes. Kanizsa hat die Tradition der Gestaltpsychologie fortgeführt. Die durch ihn beschriebenen Phänomene (Kanizsa-Dreieck, Täuschungskonturen, -kontrast, -helligkeit; Kanizsa, 1979) und deren systematische theoret. Aufarbeitung haben vielfältige Anstöße für die psychol. und neurowiss. Forschung (Neurowissenschaften, Kognitive) geliefert, da diese die Bedeutung der perzeptuellen und kogn. Bildorganisation auf elementarer und komplexer Ebene eindrucksvoll veranschaulichen.

Referenzen und vertiefende Literatur

Die Literaturverweise stehen Ihnen nur mit der Premium-Version zur Verfügung.

Datenschutzeinstellungen

Wir verwenden Cookies und Analysetools, um die Sicherheit und den Betrieb sowie die Benutzerfreundlichkeit unserer Website sicherzustellen und zu verbessern. Weitere informationen finden Sie unter Datenschutz. Da wir Ihr Recht auf Datenschutz respektieren, können Sie unter „Einstellungen” selbst entscheiden, welche Cookie-Kategorien Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass Ihnen durch das Blockieren einiger Cookies möglicherweise nicht mehr alle Funktionalitäten der Website vollumfänglich zur Verfügung stehen.