Führung

 

[engl. leadership], [AO, SOZ], ist ein Sammelbegriff für alle Interaktionsprozesse (Interaktion), in denen eine absichtliche soziale Einflussnahme von Personen auf andere Personen zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben im Kontext einer strukturierten Arbeitssituation zugrunde liegt (Wegge & Rosenstiel, 2007, weitere Def. s. Neuberger, 2002). Die Einflussnahme kann nicht nur direkt durch Arbeitsaufträge oder Vorgaben erfolgen, die der zu beeinflussenden Person von anderen Personen (z. B. Inhaber von Vorgesetztenpositionen) durch mündliche oder schriftliche Kommunikation übermittelt werden. Einfluss kann auch indirekt über Strukturen ausgeübt werden, die als sog. Führungssubstitute wirken. Bsp. hierfür sind Stellenbeschreibungen oder Softwareprogramme, die festlegen, was die Mitarbeiter wie zu tun haben.

Das Hauptanliegen psychol. Führungstheorien besteht darin, Bedingungen und Merkmale zur Verbesserung des Führungserfolgs zu formulieren. Erfolgskriterien sind dabei i. d. R. beobachtete oder eingeschätzte Leistungen der geführten Arbeitsgruppe oder zurechenbare Kosten und Gewinne. Zur Auswahl von Führungskräften werden in der Praxis Einstellungsinterviews oder Assessment-Center eingesetzt (Einzel-Assessment). Führungskräfte werden in Führung- und Managementseminaren aus- und weitergebildet (Aus- und Fortbildung). Die Umsetzung des Gelernten und die Karriereentwicklung wird durch Coaching gefördert. Wiss. fundierte Methoden zu den genannten Feldern werden von Kerschreiter et al. (2018) beschrieben.

In den klass. Ohio-Untersuchungen wurden durch Fragebogenerhebungen zur Beschreibung des Führungsverhaltens zwei Führungsstile gefunden, die Aufgabenstrukturierung oder Leistungsorientierung (Initiating Structure) und Mitarbeiterorientierung bzw. Rücksichtnahme (Consideration). Mitarbeiterorientierung korreliert häufig pos. mit Arbeitszufriedenheit, aber kaum signifikant mit Leistungskriterien. Aufgabenstrukturierung zeigt in mehreren Untersuchungen, aber keineswegs durchgängig mäßige Korrelationen mit Leistungskriterien. Ein kooperativer Führungstil (Information und Einbeziehung der Mitarbeiter bei Fragen, die ihre Arbeit betreffen) kann jedoch auch unabhängig von der Zielsetzung direkte Leistungsverbesserungen zu erzielen, bei Vereinbarungen und Veränderungen von Führungs-grundsätzen in der Organisation zur Verbesserung des Arbeitsklimas und zur Förderung der Bereitschaft der Mitarbeiter zweckmäßig sein, ihr Erfahrungswissen zur Steigerung der Effizienz und Effektivität oder der Kundenzufriedenheit beizusteuern. Es gibt Fragebogeninstrumente zur Erfassung des Führungsstils und Verhaltens aus der Sicht der Mitarbeiter.

Die Wege-Ziel-Theorie der Führung von House & Mitchell (1974) basiert auf Grundannahmen der Erwartung-Wert-Theorie der  Arbeitsmotivation von Vroom (1964). Danach kann der Vorgesetzte, der die Ziele, Werte und Erwartungen seiner Untergebenen kennt und über genügend Kontrolle verfügt, deren Leistungsverhalten beeinflussen, indem er Zusammenhänge (Kontingenzen) zw. den von ihm gewünschten Leistungen und den Zielen der Untergebenen herstellt. Wie Landy & Conte (2017) feststellen, ist es beim Führungserfolg bes. schwierig, eindeutige Erfolgskriterien zu def. Der Erfolg hängt nicht allein von der Führungskraft ab, er ist je nach Führungsaufgabe und Organisation sowie Sicht des Unternehmens oder der Mitarbeiter unterschiedlich und stellt sich mitunter erst um Jahre zeitversetzt ein, wenn die Führungskraft bereits einen anderen Job übernommen hat. Nach klass. Eigenschaftstheorien kann der Führungserfolg durch Eigenschaften wie Intelligenz oder soziale Eigenschaften vorhergesagt werden. Durchgängig starke empir. Zusammenhänge zw. einzelnen Fähigkeits- oder Persönlichkeitstests und Erfolgskriterien konnten allerdings in Metaanalysen nicht nachgewiesen werden. Landy & Conte (2017) halten es für aussagekräftiger, zu erforschen, wie sich Führungskräfte entwickeln und welche Eigenschaften Führungskräften dabei förderlich sind. Pos. Korrelationen finden sich hier durchgängig bei Personen mit Persönlichkeitseigenschaften wie emotionale Stabilität, Extraversion und Offenheit für Erfahrungen (Judge et al., 2001). Untersuchungen über Unterschiede zw. weiblichen und männlichen Führungskräften (Hyde, 2005, Chin et al., 2007, Landy & Conte 2017) ergeben, dass Frauen einen eher partizipativen Führungsstil bevorzugen und sich fürsorglicher verhalten und bewusster mit interpersonellen Fragen umgehen. Ausgeprägter ist dies jedoch in frauendominierten Unternehmen und weniger in männerdominierten Organisationen – anscheinend aber, im Unterschied zu Männern, zulasten ihrer psychischen Gesundheit. Zaccaro (2007) kritisiert, dass in dieser Führungsforschung meist nur einzelne Eigenschaften der Führungskräfte überprüft wurden. Nach seiner neueren Eigenschaftstheorie hängt der Führungserfolg je nach Situation davon ab, ob die Führungskraft gleichzeitig mehrere Merkmale mitbringt. Als allg. distale Merkmale nennt er die angesprochenen Persönlichkeitseigenschaften und intellektuellen Fähigkeiten sowie hohe Machtmotivation und führungsrelevante Werte sowie als konkretere proximale Merkmale Problemlösefähigkeiten, soziale und Beurteilungsfähigkeiten, Expertise und implizites Wissen. Eine Erweiterung der Führungstheorie durch Berücksichtigung der Beziehungen zw. Führung und Mitarbeitern liefert die Leader-Member-Exchange (LMX)-Theorie (Graen & Uhl-Bien, 1995, Schyns & Day, 2010). Die Beziehungsqualität  kann durch vier Dimensionen per Fragebögen erfasst werden:  (1) professioneller Respekt, (2) pos. Affekt, (3) Loyalität und (4) Beitrag zur gemeinsamen Aufgabe (Kerschreiter et al. 2018). 

Beim Führen von Veränderungen (Veränderungsmanagement) werden bes. Führungsmerkmale gefordert, wie Überzeugung, inspirierende Motivierung der Mitarbeiter, intellektuelle Anregung und indiv. Rücksichtnahme, wie sie in Fragebogenskalen zur transformationalen Führung (Führung, charismatische, transformationale) erfasst werden (Subskala im Multifactor Leadership Questionnaire (MLQ)). Zeiten ungewisser Veränderungen und Krisen erfordern Führungspersönlichkeiten, denen ihre Mitarbeiter vertrauen können und die sie für eine loyale Unterstützung einer realistischen Zukunftsvision begeistern und aktivieren können. In diesem Zusammenhang ist das klass. Konzept der charismatischen Führungspersönlichkeit wieder aktuell geworden, das ursprünglich vom dt. Soziologen Max Weber entwickelt wurde (den Hartog & Koopman, 2001, Neuberger, 2002).

Nach vergleichenden interkult. Untersuchungen (Interkulturelle Psychologie) in zehn Ländern von Aycan et al. (2000) unterscheidet sich das Führungsverhalten in versch. Kulturen in der Machtdistanz (Macht), im Paternalismus und in der von den Mitarbeitern erwarteten Loyalität. Die bisher umfangreichste interkult. Erhebung zu Führungsstilen wurde i. R. des Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Program, kurz GLOBE study von House et al. (2004; Kulturdimensionen) an 18 000 Führungskräften mittlerer Ebenen aus 62 Ländern durchgeführt. Untersucht wurden neun kult. Dimensionen (Unsicherheitsvermeidung, Machtdistanz, institutioneller Kollektivismus, gruppenbezogener Kollektivismus, Gleichbehandlung der Geschlechter, Durchsetzungsverhalten, Zukunftsorientierung, Leistungsorientierung und humane Orientierung) und sechs Führungsstile (charismatische, teamorientierte, auf Selbstschutz ausgerichtete, partizipative, humane und autonomieorientierte Führung). Gefragt wurde jew., welches Führungsverhalten im Land existiert und welches ideal wäre. Die Ergebnisse liefern differenzierte Unterschiedsprofile für die versch. Länder sowie Gemeinsamkeiten kult. enger verbundener Ländergruppen. Die dt. Führungskräfte unterscheiden sich von anderen insbes. durch «geringes Mitgefühl, aber hohe Leistungsorientierung» wie Brodbeck et al. (2002) im Titel ihrer Analyse herausstellen.

Führung hat nicht nur pos. Effekte. In jüngerer Zeit wurde auch destruktives Führungsverhalten Gegenstand der Forschung (Kerschreiter et al. 2018). Dazu zählt «despotisches» Führungsverhalten, wie z. B. Anschreien und Demütigungen oder beleidigendes und unfaires Verhalten. Es kann durch einen Fragebogen erfasst werden, die Abusive Supervision Scale (Tepper, 2000; vgl. zus.fassend Kerschreiter et al. 2018). Die vereinfachende Vorstellung von Führungserfolgstheorien, dass es möglich sei, das Leistungsverhalten der Arbeitsgruppe durch trainierbares Führungsverhalten zu verändern, ist bereits früh kritisiert worden (Neuberger, 2002). Konzepte der symbolischen Führung postulieren, dass die Hauptfunktionen der Führung nicht in einer Leistungskontrolle oder -steigerung der Untergebenen zu sehen ist, sondern darin, dass durch Führung sinnstiftende Kommunikationsprozesse (Sprache, Handlungen und Rituale) Bedeutungen und Sprachregelungen vermittelt werden. Dadurch kann Vertrauen in die Führung und Orientierung für die Mitarbeiter ermöglicht werden. (Pfeffer, 1981). Im Zuge der Einführung selbstorganisierter Gruppenarbeit ändern sich die Aufgaben von Führungskräften. Nicht mehr der Manager ist gefragt, der als Entscheider und Überwacher seinen Untergebenen die auszuführenden Beschlüsse vorgibt und ihre Ausführung kontrolliert, sondern ein Moderator (Moderationstechniken) und Förderer oder Berater weitgehend selbstständig zus.arbeitender Mitarbeiter. Führungskräfte sollen danach typische Aufgaben aus dem Bereich der Personalentwicklung übernehmen und ihre Mitarbeiter in ihrer Entwicklung beraten und fördern (etwa durch regelmäßige  Zielvereinbarungsgespräche, vgl. die Zielsetzungstheorie Arbeitsmotivation und andere Führungsinstrumente).

Das Feld der Führung ist außerordentlich vielfältig und es gibt es immer neu propagierte Konzepte. Wie Kerschreiter et al. (2018) an den Bsp. authentische und ethische Führung aufzeigen, fehlen ihnen meist klare Abgrenzungen zu anderen Führungskonzepten, geprüfte Messinstrumente und empir. Nachweise der erwarteten Wirkungen. Diese Kritik lässt sich auch auf Konzepte zur agilen Führung anwenden, wie sie neuerdings von Unternehmensberatungen vermarktet werden. Vorbild sind Software-Entwicklerteams, die ihre Produkte sehr schnell arbeitsteilig entwerfen und testen und flexibel verändern, wenn die Tests neg. ausfallen (Beck et al., 2001). Unternehmensberatungen bieten sehr unterschiedliche Konzepte dazu an, deren Gemeinsamkeit lediglich darin besteht, dass die Arbeitsaufgaben schneller und flexibler sowie durch weitgehend selbstorganisiert arbeitende Mitarbeiter und Teams bearbeitet werden sollen. Erforderlich ist eine wiss. Überprüfung der Konzepte und Führungsinstrumente, insbes. ob sie die von ihren Protagonisten versprochenen Ergebnisse erzielen. Eine Übersicht zu den wiss. überprüften Führungskonzepten und Methoden liefern Kerschreiter et al. (2018).

Referenzen und vertiefende Literatur

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