Finanzpsychologie

 

[engl. financial psychology, psychology of finance], [AO, KOG, SOZ, WIR], die Finanzpsychologie wird von manchen Autoren mit ökonomischer Ps. (Ökonomische Psychologie) oder Wirtschaftspsychologie gleichgesetzt (Schulz-Hardt et al., 2015), während andere eine engere Begriffsabgrenzung vorschlagen und Finanzentscheidungen im Haushalt (Geldmanagement, Ausgaben, Sparen, Kredit, Schulden, Investitionen), v. a. an der Börse, sowie die Ps. des Geldes und des Steuerverhaltens (Steuerpsychologie) als zentrale Themen der F. ansehen (Schmölders, 1966). Kernthemen betreffen das Erleben und Verhalten an der Börse (Kirchler, 2011). An der Börse werden systemat. Abweichungen des menschlichen Verhaltens vom ökonomischen Rationalmodell untersucht. Ökonomische Entscheidungen (Entscheidungstheorie) von Händlern und Investoren sind aufgrund begrenzter Informationsverarbeitungskapazität, geringer Motivation und Zeitknappheit manchmal suboptimal (bounded rationality). Stimmungen und Affekte trüben den Blick, Heuristiken werden angewandt und der Einfluss anderer Marktteilnehmer auf die eigenen Entscheidungen führen häufig zu fehlerhaften Entscheidungen, zu sog. biases (Fehler). Montier (2010) teilt Urteilsfehler und -verzerrungen an der Börse in drei Kategorien.

(1) Selbstüberschätzung aufgrund von Überoptimismus, Kontrollillusion (Kontrollüberzeugung), Wissensillusion, übersteigertem Selbstvertrauen oder dem Rückschaufehler (hindsight bias) sind Ursachen von Urteilsfehlern aus der ersten Kategorie des Selbstbetruges. Anleger können bzgl. ihrer Investitionen weit optimistischer sein, als es sachlich gerechtfertigt ist, meinen, die Entwicklungen an der Börse antizipieren und ihre Investitionen kontrollieren zu können, überschätzen ihr Wissen im Verhältnis zu anderen Akteuren und die Richtigkeit ihrer Entscheidungen und glauben im Nachhinein, die eingetretenen Ereignisse vorhergesehen zu haben. Selbstbetrug kann die Handelsaktivitäten anheizen. Viele Käufe und Verkäufe an der Börse sind aber mit Transaktionskosten verbunden, die nicht entspr. berücksichtigt werden, den Gewinn jedoch schmälern. Über- und Unterreaktionen treten häufig auf und je nach Trend, dem die Börsenkurse folgen, kann es zu übermäßigem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren kommen.

(2) Heuristiken, Framingeffekte und Verlustaversion (Prospect-Theorie). Der sog. home-bias ist ein Bsp. für die Verfügbarkeitsheuristik: V. a. Papiere aus dem eigenen Land werden bevorzugt gekauft, was eine ungünstige Risikostreuung im Portfolio eines Anlegers zur Folge haben kann. Die Rekognitionsheuristik wird als Ursache dafür angeführt, dass Aktien von bekannten Unternehmen gegenüber jenen von unbekannten bevorzugt werden. Die Repräsentativitätsheuristik kann Anleger dazu verführen, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen falsch einzuschätzen. Die Ankerheuristik beschreibt den Effekt, wonach Investments auf unterschiedliche Größen wie den Ankaufswert oder höchsten erzielten Wert in der Vergangenheit bezogen werden und je nach Referenzwertsetzung eine Veränderung des Wertes als Gewinn oder Verlust wahrgenommen wird. Aus der in der Prospect-Theorie beschriebenen Risikoaversion in Gewinnsituationen und Risikoneigung in Verlustsituationen resultiert der Dispositionseffekt, wonach Aktien je nach Wertveränderung zu früh verkauft oder zu lange gehalten werden: Verliereraktien werden oft zu lange gehalten, um einen Verlust nicht zu realisieren, während Gewinneraktien vorzeitig verkauft werden.

(3) Urteilsfehler aufgrund sozialer Dynamik am Markt. Soziale Ansteckung, Informationskaskaden und Herdenverhalten können nicht nur zu suboptimalen Entscheidungen von Einzelnen führen, sondern das gesamte Marktgeschehen neg. beeinflussen. Wenn Gerüchte – auch von unzuverlässigen Quellen – gestreut werden oder Massenmedien selektive Information verbreiten, können soziale Ansteckung und Herdenverhalten die Folgen sein. Anleger haben Schwierigkeiten, sich gegensätzlich zum Verhalten von Mehrheiten zu entscheiden. Die eigene Reputation ist bes. gefährdet, wenn indiv. Entscheidungen im Kontrast zu anderen gefällt werden und weniger gefährdet, wenn die «Herde» in eine Entscheidungsfalle läuft. Prozesse der Informationsweitergabe und Aneignung von Informationen im Sozialkontakt werden als Informationskaskaden bez. Herdenverhalten bez. das Phänomen, dass dem Verhalten anderer Investoren (blindlings) gefolgt wird. Auswirkungen von Fehlern aus Sozialkontakten sind u. a. Ursachen für spekulative Blasen, bei denen es aufgrund sozialer Ansteckung und Herdenverhalten zu einer deutlichen Differenz zw. Fundamentalwert und Marktpreis eines Wertpapieres kommt. Wenn eine Spekulationsblase platzt und der Großteil der Anleger verkauft, verfallen Preise oft innerhalb kurzer Zeit, und Verluste sind die Folge. Beispiele spekulativer Blasen sind die «Dotcom-Blase» der 2000er-Jahre und die «Immobilien-Blase» des Jahres 2008.

Referenzen und vertiefende Literatur

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