Familien, Hochkonflikt-

 

[engl. high conflict families], [RF, PER, SOZ], sind Trennungs- und Scheidungsfamilien in der Extremphase der Konfliktentwicklung (Konflikt, sozialer) mit einem Komplex von schwer korrigierbaren Verhaltensweisen Konfliktbeteiligter, der eine sinnvolle Lösung von Familienrechtsstreitigkeiten, wie z. B. Umgangs- oder Sorgerechtskonflikte (Sorgerecht: Regelung nach Trennung und Scheidung), dauerhaft beeinträchtigt. Obwohl nur circa 5% der Trennungs- und Scheidungspaare Hochkonflikt-Familien sind, binden sie unverhältnismäßig viel Helferkapazitäten, weil das Konfliktmanagement aufwendig ist und oft die Grenze zur Kindeswohlgefährdung erreicht wird und Folgeschäden für Kinder zu verhindern sind.

Mangels aussagekräftiger Längsschnittuntersuchungen orientieren sich Def.versuche – häufig mit Bezug auf das Stufenmodell von Glasl (2011) – an unterschiedlichen mentalen, verbalen und aktionalen Indikatoren destruktiver Streitmuster mit lediglich unterschiedlicher Auftretenswahrscheinlichkeit in jeder Etappe einer Konfliktentwicklung. Nur wenige empirische Ergebnisse, meist basierend auf den Vergleich von Stichproben unterschiedlichen Konfliktniveaus, liegen vor. Danach zeigten z. B. hochkonflikthafte Eltern geringere Verträglichkeit (inkl. Kooperativität, Nachgiebigkeit, Vertrauen), weniger Offenheit, d. h. weniger Interesse an neuen Erfahrungen, stattdessen Dominanz verfestigter Ansichten. Interventionsstrategien werden kritischer bewertet als von anderen Eltern. Mit dem Konfliktniveau verminderte sich das Selbstwirksamkeitserleben (Fichtner et al., 2010; Selbstwirksamkeitserwartung). Zu der Annahme, dass Persönlichkeitsbesonderheiten oder Persönlichkeitsstörungen der Eltern die Hochkonflikthaftigkeit verursachen, liegen internat. sehr widersprüchliche und deshalb nicht verwertbare Ergebnisse vor. Soziodemografische Unterschiede wurden bisher nur selten gefunden: So verfügen Hochkonflikt-Familien z. B. über geringere ökonomische Ressourcen, waren vor der Trennung kürzer zus. und auch seltener verheiratet. Insgesamt liegen instabilere Kontextfaktoren vor (Bröning, 2011).

Durch Orientierung auf reales, beobachtbares Konfliktverhalten ist die Spezifik von Hochkonflikt-Familien am besten diagnostizierbar und abgrenzbar von niederen Konfliktstadien wie Wortkonflikten oder basalem Konflikthandeln. Spezifische Verhaltensweisen (Eskalationskriterien) bei Hochkonflikt-Familien sind: (1) Schikanehandeln (z. B. gezieltes Provozieren durch grob ungerechtes Verhalten, Degradierungszeremonien, Demütigungen, nachteilige Informationen an Arbeitsstelle des Konfliktpartners, Arbeitsamt, Versicherungen); (2) gegenseitiges Drohverhalten mit Ultimatum (Eskalationsdialog); (3) Allianzbildung (Einbeziehen Dritter, Koalitionsdruck); (4) Behinderung der Kommunikation (Nichtbeantworten von E-Mails, Geheimhalten von Telefonnummern. Verweigern von Gesprächen); (5) überhöhte Kontrollansprüche in Bezug auf das Verhalten des Konfliktpartners; (6) Verharren im Vorwurfskreislauf; (7) Gewaltanwendung in der jüngeren Vergangenheit; (8) Psychopathologisierung oder Kriminalisierung des Konfliktpartners; (9) Selbstschädigung (Verlustignoranz), d. h. Inkaufnehmen von Schäden/Nachteilen, die größer sind als der angestrebte Nutzen; (10) häufig wechselnde Rechtsvertretung; (11) ausgeprägte Gerichtsanhängigkeit (mehrere offene und abgeschlossene familiengerichtliche Verfahren); (12) Ignorieren gerichtlicher Anordnungen, Vereinbarungen; (13) mangelnde Bereitschaft zur Nutzung professioneller Hilfe (Ablehnung, Scheinakzeptanz); (14) Drohverhalten gegenüber professionellen Dritten; (15) Belastung des Kindes bei Abwesenheit oder bei Anwesenheit des Konfliktpartners. Die einzelnen Kriterien unterscheiden sich in Gewicht und prognostischer Bedeutsamkeit. Schlussfolgerungen sind aus der Gesamtheit aller Indikatoren abzuleiten (Prinzip der Aggregation von Daten).

Die Interventionsbedingungen sind mit dem Ausmaß des Hochkonflikts aus folg. Gründen zunehmend beeinträchtigt: (1) Infolge der extrem verfestigten Streitpositionen ist die Wahrscheinlichkeit gemindert, dass die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden können und sich alle Beteiligte in einer vereinbarten Regelung repräsentiert sehen, was wiederum die Erfolgschancen einer Regelung mindert. (2) Die Erfolgschancen des Hinwirkens auf Einvernehmen im familiengerichtlichen Verfahren nach § 156 FamFG sinken. (3) Abnehmende Akzeptanz von Interventionen seitens der Konfliktparteien; (4) Die Bereitschaft zu gemeinsamen Gesprächen sinkt. Deshalb wird meist mit Einzelangeboten begonnen, bevor mit beiden Elternteilen gemeinsam gearbeitet wird. (5) Wirksam werden v. a. einfachere Lernformen (Verhaltenskonditionierung (Konditionierung) durch Belohnung oder Strafe, Vermeiden neg. Folgen). Höhere Lernformen wie Einsichtslernen treten in den Hintergrund. (6) In der Folge verändern sich weniger die vorhandenen Einstellungen und Verhaltensbereitschaften, sondern das äußere Verhalten wird vor allem durch Kontrolle und Sanktionsfurcht aufrechterhalten. (7) Das ordnungsrechtliche Instrumentarium und die Wächterfunktion des Staates wird zunehmend genutzt, damit auch Maßnahmen mit Zwangscharakter wie z. B. begleiteter Umgang, Umgangspflegschaft, Androhung und Festsetzung von Ordnungsmitteln, Änderungen der Sorgerechtsregelung umgesetzt werden können. (8) Das Risiko der Kindeswohlgefährdung steigt. Es wird schwieriger, die Kinder vor Überforderungen und Belastungen zu schützen und den Eltern dies zu verdeutlichen. Als Konsequenz formuliert Bröning (2011, 34): «Hochstrittige glauben, dass sie selbst am meisten leiden, wünschen, dass der ehemalige Partner mehr leiden soll, und reden sich häufig ein, dass die Kinder wenig oder gar nicht leiden.»

Referenzen und vertiefende Literatur

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