Denken

 

[engl. reasoning, thinking], [KOG], zählt zu den höheren kogn. Funktionen und unterscheidet sich damit von einfachen kogn. Funktionen wie Wahrnehmung, Lernen oder Gedächtnis. Denken unterscheidet sich explizit vom Handeln insofern, als es ihm vorausgeht und die Vorbereitungen zum geplanten Handeln schafft (Handlungsplanung). Neben dieser vorwärtsgerichteten Perspektive gibt es aber auch eine gegenwarts- und rückwärtsgerichtete Perspektive, die zum Verständnis einer gegebenen Situation und zur Bewertung von vergangenen Ereignissen beiträgt. Denken ist eine spez. Form der Informationsverarbeitung, bei der eine aktive innere Beschäftigung mit sprachlichen Begriffen, bildlichen Vorstellungen und anderen mentalen Inhalten stattfindet mit dem Ziel, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Denken steht häufig im Dienste zielorientierter Handlungen, die nicht als automatisierte Routinen verfügbar sind.

Denken vollzieht sich in mehreren Erscheinungsformen: Als logisches Schließen, bei dem deduktive Urteile getroffen werden (Deduktion; Knauff, 2006); als Wahrscheinlichkeitsurteil, bei dem induktive Schlüsse über zukünftige Ereignisse gefällt werden (Entscheiden, Induktion; Jungermann et al., 2005); als problemlösendes Denken (Problemlösen; Funke, 2003), das Lücken in einem Handlungsplan schließt; als kreatives Denken, das neue Verbindungen herstellt, die originell und nützlich sind (Kreativität; Sternberg & Lubart, 1995).

(1) Logisches Schließen. Eine der wichtigen kogn. Tätigkeiten besteht im Inferieren gültiger Schlüsse. Widerspruchsfreies, folgerichtiges Schließen kommt in versch. Erscheinungsformen daher. Beim syllogistischen Schließen geht es um das Denken mit den Quantoren «Alle», «Einige», «Einige nicht» oder «Keine». Beim konditionalen Schließen geht es um die Richtigkeit der Verknüpfung von Aussagen mithilfe von Junktoren bzw. Konnektiven wie «nicht», «oder», «und», «wenn» und «dann». Regeln der Aussagenlogik wie z. B. Modus ponens oder Modus tollens sowie Wahrheitstabellen, in denen die Wahrheitswerte zus.gesetzter Aussagen bei Kenntnis der Wahrheitswerte für Teilaussagen best. werden können, regeln die Schlussfolgerungen. Beim relationalen Schließen geht es um die Beurteilung des Verhältnisses zw. mehreren Objekten, die durch eine best. Relation zueinander charakterisiert wird.

(2) Wahrscheinlichkeitsurteile. Vielfach sind Urteile nicht auf logischer Basis möglich, sondern es müssen Inferenzen unter Unsicherheit gezogen werden. Mit welcher Wahrscheinlichkeit etwa ein Fahrzeug, das man benutzen möchte, in einen Unfall verwickelt wird, lässt sich nicht exakt vorhersagen. Der Einsatz von spez. Heuristiken (s. u.) hilft in vielen Fällen zu einer guten Approximation, wenngleich Heuristiken immer wieder auch zu fehlerhaften Urteilen führen.

(3) Problemlösen. Problemlösendes Denken ist dort erforderlich, wo Routinehandlungen nicht zur Verfügung stehen. Die Suche nach einem Mittel, das zur Überwindung einer Barriere bzw. einer Lücke zw. Ist- und Soll-Zustand beiträgt, macht Problemlösen aus. Entscheidend Anteil daran trägt die Planung zukünftiger möglicher Aktionen (Denken als Probehandeln) im Problemraum. Die als Mittel zum Zweck verwendbaren Operatoren, Werkzeuge zur Veränderung von Problemzuständen) sind je nach Realitätsbereich versch., obwohl es auch allg. Operatoren wie z. B. Suche nach Analogien gibt, die universell eingesetzt werden können. Das heuristische Denken bedient sich dabei der Situationsanalyse (bestehend aus Konflikt- und Materialanalyse) ebenso wie der Zielanalyse, also vom Ausgangszustand aus vorwärts bzw. vom Zielzustand aus rückwärts.

(4) Kreatives Denken. Manchmal ist das Denken erfinderisch und schafft etwas Neues. Das kreative Produkt soll neu und nützlich sein. Kreatives Denken ist beim komplexen Problemlösen nötig, wo schwierige Probleme vorliegen, für die es keine Standardlösung gibt. Es läuft in mehreren Phasen ab und lässt sich nicht erzwingen.

Die wesentlichen Merkmale des Denkens beschreibt Graumann (1965) in sechs Punkten: (1) Vergegenwärtigung. Die denkende Person ist losgelöst von der sinnlichen Erfahrung und kann damit Vergangenes wie Zukünftiges vergegenwärtigen. Vergegenwärtigung bedeutet, der Fantasie Platz einzuräumen und nicht nur das Gegebene, sondern auch das Mögliche zu bedenken. Je intensiver an etwas gedacht wird, umso lebendiger tritt es vor das geistige Auge und wird dadurch präsent. (2) Ordnungsleistung durch Begriffsbildung. Im Vorgang der Abstraktion wird Allgemeines «auf den Begriff gebracht». Diese Art von bewusster begrifflicher Klassenbildung (Gruppierung) ist eine Leistung des Denkens, für einige Autoren sogar die zentrale Aufgabe (Aebli, 1980-1981). Begriffsbildung steht daher in vielen Arbeiten im Zentrum der Aufmerksamkeit; betont wird damit die besondere Rolle der Sprache beim Denken (3) Innerlichkeit. Die denkende Person unterscheidet sich von der handelnden Person durch die Wendung nach innen im Unterschied zur Orientierung nach außen. Die Sinnesreize werden für die Zeit des Denken nebensächlich, die Umgebungsreize treten hinter den Gegenstand des Denkens zurück. (4) Selektivität. Die denkende Person ist frei in der Wahl ihres Objekts und kann beliebige Assoziationen stiften. Hier besteht ein wichtiger Unterschied zur sinnlichen Wahrnehmung: Diese kann sich zwar gelegentlich täuschen, wird aber meist durch das Handeln korrigiert – anders beim Denken: Die Freiheit zur beliebigen Assoziation ist natürlich damit auch die Freiheit zum Denkfehler. (5) Urteil und Entscheidung. Die denkende Person hat i. Allg. ein Ziel (Ziele) im Auge – Denken ist somit kein Selbstzweck, sondern steht im Dienst der Handlungsregulation. Seine Aufgabe ist es, aus den versch. Handlungsoptionen die für den Organismus zweckmäßigste auszuwählen. Dieser Akt des Beurteilens von Alternativen und des Fällens einer Entscheidung charakterisiert die funktionale Seite des Denkens (6) Reflexivität. Die denkende Person kann sich selbst zum Gegenstand des Denkens machen. Diese Fähigkeit, die man auch als Metakognition oder cognitive monitoring bez., erlaubt es, in schwierigen Situationen das erfolglos um ein Thema kreisende Denken abzubrechen und auf einen neuen Gegenstand zu richten, um später erneut zum ungelösten Problem zurückzukehren. Die Fähigkeit zu selbstreflexivem Denken unterscheidet insbes. die menschliche von der Künstlichen Intelligenz, die best. Zustände wie z. B. Endlosschleifen nur durch äußeren Eingriff (reset) verlassen kann (das «Einfrieren» eines Rechners ist ein Bsp. dafür). Der zuletzt erwähnte Punkt ist auch ein Indiz der Personalität des Denkens: Jedes Denken ist Denken einer ganz best. Person, die ihre Gedanken «besitzt» und diese dem fremdem Zugriff verweigern kann («Die Gedanken sind frei»). Sich den Begriff der Freiheit ohne Gedankenfreiheit vorzustellen, erscheint als ein Ding der Unmöglichkeit. Von daher ist Denken essenzieller Bestandteil freier Individuen.

In der gut 100-jährigen Geschichte der modernen Denkps. finden sich im Wesentlichen fünf Ansätze, die den Gegenstand zu fassen versuchen. Der Assoziationismus versteht das Denken als Umschichten und Bearbeiten einer Reaktionshierarchie. Die Gestalttheorie sieht im Denken die Umstrukturierung einer defekten zu einer guten Gestalt. Der Ansatz der Informationsverarbeitung sieht das Denken als Problemlösen an, bei dem durch Operatoreinsatz die Lücke zw. Ist- und Sollzustand geschlossen werden soll. Handlungstheorien stellen Denken in den Dienst umfassender Handlungsregulation, die best. Intentionen einer Person möglichst erfolgreich realisieren soll. Evolutionspsychol. Ansätze postulieren die Verwendung best. vereinfachender Heuristiken, die sich im Laufe der Evolution in best. Kontexten als hilfreich und sinnvoll erwiesen haben. Zu den neueren Entwicklungen der D.ps. gehört die Erweiterung des Problemlöse-Gegenstands vom einfachen zum komplexen Problemlösen, die von Dörner in den 1970er-Jahren angestoßen wurde (Dörner, 1989).

Denken und Sprache. Wenn das Denken ein Mittel ist, die Welt um uns herum verständlich zu machen und bei der Lösung von Problemen zu helfen, ist Sprache ein Mittel, um mit anderen über diese Welt zu kommunizieren. Was ihren Werkzeug-Charakter betrifft, sind Denken und Sprache vergleichbar. Der Unterschied liegt in ihrem Adressaten: Während das Denken das innere Gespräch der Seele mit sich selbst ist (so der gr. Philosoph Platon), richtet sich Sprache bevorzugt auf Mitmenschen als Kommunikationspartner (Kommunikation), die man verstehen und denen man sich verständlich machen möchte.

Die Diskussion um das Verhältnis von Sprache und Denken hat eine jahrhundertealte Tradition, die allerdings vielfach ideologischen Charakter angenommen hat. Erst die exp. Forschung, die heute vor uns liegt, macht an vielen Stellen obj. Aussagen möglich. Was den oft postulierten Einfluss von Sprache auf das Denken betrifft, bleibt festzuhalten, dass die Sapir-Whorf-Hypothese von der Sprachdeterminiertheit des Denkens sicher nicht in ihrer radikalen Form zu halten ist. Sprache ist nur ein Faktor, der unsere Kognitionen und unser Verhalten bestimmt. Wichtig bleibt die Aussage, dass in unserem Gehirn eine eigenständige Gedankensprache existiert, die Objekte und Ideen in symbolischer Form fasst und erst in einem zweiten Schritt an sprachliche Laute knüpft. Sprechen und Denken sind insofern versch., als die inneren Repräsentationen von ihrer Versprachlichung unabhängige Elemente darstellen. Sprechen und Denken sind andererseits natürlich als «kognitive Geschwister» in vielfältiger Weise aufeinander bezogen und voneinander inspiriert.

Methoden zur Erfassung von D.prozessen. Die Methoden zur Erfassung von D.prozessen weisen eine große Bandbreite auf (Funke & Spering, 2006): Von der Introspektion über verbale Daten (lautes Denken) und Verhaltensdaten (sequenzielle Aufgabenstellungen, Blickbewegungen; Blickbewegungsmessung) bis hin zu bildgebenden Verfahren ist ein Inventar entwickelt und eingesetzt worden, von dem nicht eines für sich beanspruchen kann, die «Via regia» darzustellen; vielmehr ist der richtige Methoden-Mix der sinnvolle Weg der Datenerhebung.

Referenzen und vertiefende Literatur

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