Bewusstsein

 

[engl. awareness, consciousness], [BIO, KOG, PHI], zum Phänomen Bewusstsein gibt es versch. Perspektiven und Zugänge. Eine erste ist am Erlebnisaspekt orientiert. Danach ist Bewusstsein zum einen die Gesamtheit der Erlebnisse, d. h. der erlebten psych. Zustände und Aktivitäten (Vorstellungen, Gefühle usw.); zum Bewusstsein gehört zusätzlich zu diesen bewussten Zuständen oder Aktivitäten auch noch die Tatsache ihres Bewusst-Seins, die besondere Art des unmittelbaren Gewahrseins dieser Erlebnisse, die man auch als innere Erfahrung bez. kann. Bewusstsein i. d. S. setzt nicht die Verfügung über Sprache oder über abstrakte Begriffe voraus; auch das bloße Spüren eines Schmerzes ist bereits Bewusstsein. Bewusstsein erfordert auch nicht unbedingt das Wissen, dass man ein Ich, eine Person ist; Letzteres ist eine höher entwickelte Art des Bewusstseins.

Auf der Grundlage dieser Perspektive können spez. psych. Phänomene beschrieben werden, aber auch die Eigenart und Struktur des Bewusstseins i. Allg. Mehrere, z. T. sehr unterschiedliche psychol. Richtungen haben hierzu beigetragen: (1) Der Bewusstseinsstrom (James) zeichnet sich aus durch stetige Veränderung bei gleichzeitiger Kontinuität; die zeitlich aufeinanderfolg. sowie die gleichzeitig bestehenden Bewusstseinsinhalte werden als Teil eines Bewusstseins erlebt (Einheit des Bewusstseins); (2) die Zahl der zu einem Zeitpunkt gegebenen Bewusstseinsinhalte ist begrenzt (Bewusstseinsenge). (3) Bewusstseinsinhalte haben ein Zentrum und eine Peripherie (in der Gestaltps.: Figur-Grund-Verhältnis); (4) Bewusstseinsinhalte sind nicht auf elementare Empfindungen reduzierbar (sie sind mehr als die «Summe» ihrer Teile); sie sind z. T. unanschaulicher Natur; (5) Bewusstsein von Begriffen, Bewusstheit und Bewusstseinslage), ein großer Teil von ihnen besitzt Intentionalität (Intention), ist auf etwas gerichtet (Wahrnehmung von etwas, Furcht vor etwas).

Kritisiert wurde an diesem Zugang v. a. die Methode der Introspektion (Selbstbeobachtung), hierbei jedoch oft übersehen, dass zwar die Introspektion (aufmerksame Beobachtung des eigenen psych. Geschehens) auf viele psych. Vorkommnisse nicht anwendbar ist, wohl aber die innere Erfahrung und nachträgliche Beschreibung der Erlebnisse. Allerdings wäre die Erlebnisbeschreibung als einziger Zugang innerhalb der Ps. unzureichend. Die Ps. benötigt auch Theorien über Prozesse, die nicht bewusstseinsfähig sind oder die nicht hinreichend zuverlässig durch innere Erfahrung erfasst werden können.

Eine zweite Perspektive, diejenige der Kognitiven Psychologie, betont die Funktionen des Bewusstseins, seine Rolle im Prozess der menschlichen Informationsverarbeitung. Hierbei wird i. Allg. davon ausgegangen, dass ein großer Teil der Informationsverarbeitung nicht von Bewusstsein begleitet ist. Dem Bewusstsein zugeordnet werden v. a. das aktivierte Gedächtnis, die fokale Aufmerksamkeit und die kontrollierten (nicht automatischen) Prozesse der Informationsverarbeitung. Die Verknüpfung des Bewusstseinsbegriffs mit kognitionspsychol. Theorien wirft allerdings eine Reihe von Problemen auf (Jackendoff, 1987, Gadenne & Oswald, 1991). Zunehmende Bedeutung gewinnt der von den Neurowiss. gewählte Zugang, der teilweise mit dem kognitionswiss. kombiniert wird. Man gewinnt ein ständig erweitertes und verfeinertes Wissen darüber, welche Teilstrukturen des Gehirns mitwirken müssen, damit die mit Bewusstsein verbundenen psych. Vorgänge (bewusste Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Sprache, Entscheiden und Problemlösen) ablaufen können. Eine bes. wichtige Rolle für Bewusstsein spielen die Strukturen innerhalb der Großhirnrinde (Kortex). Dennoch wäre es falsch, den Kortex als «Sitz» des Bewusstseins zu betrachten, denn ohne subkortikale Strukturen ist kein Bewusstsein möglich: Der Grad der Wachheit (vom Tiefschlaf über den Zustand entspannter Wachheit bis hin zu erregter Aufmerksamkeit) wird durch das komplexe retikuläre System (Formatio reticularis) reguliert. Als problematisch hat sich auch die Hypothese erwiesen, die linke Gehirnhälfte (bei den meisten Menschen Ort des Sprachzentrums) sei der Träger des Bewusstseins, denn auch die rechte Gehirnhälfte ist entscheidend an bewussten Funktionen beteiligt (z. B. Aufmerksamkeitssteuerung). In Bezug auf die Frage, welche neuronalen Prozesse die Grundlage des Bewusstseins darstellen, wurden v. a. Hypothesen entwickelt, die sich an Hebbs Theorie orientieren (Hebb’sches Prinzip). Es wird vermutet, dass es zu Bewusstseinszuständen dann kommt, wenn kreisende Erregungen in Zellverbänden eine gewisse Intensität erreichen; man versucht, die physiol. Bedingungen von Bewusstsein immer genauer zu bestimmen (Metzinger, 2000).

Vieles spricht dafür, dass auch einige nicht menschliche Lebewesen Bewusstsein haben. Kriterien für Bewusstsein (jedoch nicht mit Bewusstsein gleichzusetzen) sind hierbei v. a. die Fähigkeit zum Problemlösen, der Gebrauch von Symbolen und das Sich-selbst-Erkennen im Spiegel (Rouge-Test).

Besondere Aufmerksamkeit genießt das Thema Bewusstsein in der Philosophie der Ps. (Metzinger, 2005), wo es meist im Zusammenhang mit dem Leib-Seele-Problem behandelt wird. Es hat sich als problematisch erwiesen, Bewusstsein auf die Gehirntätigkeit zu reduzieren; man sucht nach nicht reduktiven Lösungen des Leib-Seele-Problems, die zugleich einen Substanz-Dualismus vermeiden.

Historisch gesehen ist die Einstellung zum Forschungsgegenstand Bewusstsein durch starke Änderungen gekennzeichnet. Bewusstsein galt in der älteren Ps. (z. B. Wundt, James) als ihr eigentlicher Gegenstand, wurde dann vom Behaviorismus bzw. Neobehaviorismus als wiss. nicht untersuchbar erklärt, nach der «kognitiven Wende» wieder aufgegriffen und seitdem in psychol. und phil. Publikationen und Veranstaltungen zunehmend thematisiert.

Was die genannten Perspektiven oder Zugänge angeht, so wird heute z. T. die Sichtweise vertreten, dass die ältere, auf den Erlebnisaspekt bezogene, von geringerer Bedeutung und Aktualität sei als die beiden anderen, insbes. als die vielversprechende neurowiss. Andererseits erfasst die Erlebnisbeschreibung aber eine Seite des Psychischen, deren Existenz schwerlich geleugnet werden kann und die zugleich durch die anderen Zugänge nicht erfassbar ist. Insofern erscheint es angemessen, davon auszugehen, dass die dargestellten Perspektiven nicht nur in Konkurrenz zueinander stehen, sondern einander auch ergänzen.

Referenzen und vertiefende Literatur

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