Autoritätsgehorsam

 

[engl. obedience to authority], [SOZ], bez. das Befolgen der Anweisungen und Aufforderungen von Personen, die einen hohen sozialen Rang in der Hierarchie besitzen, Folge zu leisten, auch wenn sie gegen ethische Wertvorstellungen (Werte) der Humanität verstoßen. Es geht also um die Determinanten des menschenverachtenden Verhaltens, wie es z. B. von Adolf Eichmann und seinen Gefolgsleuten unter der Nazi-Herrschaft bei der Vernichtung der Juden und anderer unerwünschter Minderheiten (Minorität) gezeigt wurde.

Exp. wurde Autoritätsgehorsam in den Studien von Milgram (1974) nachgewiesen. Die Versuchsteilnehmer übernahmen hierin die Rolle eines Lehrers in einem angeblichen Experiment zum Bestrafungslernen. Ihre Aufgabe bestand darin, einem Schüler, der ein Verbündeter des Vl war und sich in einem Nachbarraum aufhielt, Aufgaben vorzulesen und die Antworten als richtig oder falsch zu bewerten. Die Lehrer wurden instruiert, falsche Antworten des Schülers mit Elektroschocks zu bestrafen, wobei das Schockniveau mit jeder falschen Antwort um eine Stufe erhöht wurde. Auf der dazu dem Lehrer zur Verfügung stehenden technischen Apparatur fanden sich neben Voltzahlen auch Einteilungen der Schockstärke, die von «leichter Schock» über «bedrohlicher Schock» hin zu «XXX» reichten. Insgesamt standen 30 Schockstufen zur Verfügung, die sich von 15 bis 450 Volt erstreckten. Zögerte der Lehrer, mit dem Experiment fortzufahren, wurde er von dem Vl wiederholt aufgefordert weiterzumachen. Vollständige Gehorsamkeit wurde konstatiert, wenn der Lehrer über die niedrigeren Schockstufen hinweg schließlich die höchste Schockstufe einstellte. In dem Experiment verwendeten 65% der Versuchsteilnehmer die max. Schockstufe. Daher kann festgestellt werden, dass das Verfahren einen unerwartet hohen Autoritätsgehorsam erzeugt. Das Gehorsamkeitsniveau blieb mit 62,5% hoch, wenn der Lehrer bei den höheren Schockstufen die Proteste und verzweifelten Rufe des Schülers hören konnte. Saß der Schüler nur einen Meter entfernt im selben Raum wie der Lehrer, sank der Autoritätsgehorsam auf 40%. Der Autoritätsgehorsam reduzierte sich auf 30%, wenn der Lehrer die Hand des Schülers auf die Schockplatte pressen musste. Somit nahm der Autoritätsgehorsam desto mehr ab, je näher das Leiden des Opfers an den Lehrer herangerückt wurde. Auch die Infragestellung des Einflusses der Autorität durch die Übermittlung der Instruktionen per Telefon oder durch widersprüchliche Anweisungen reduzierte den Autoritätsgehorsam. Als Ursachen für den hohen Autoritätsgehorsam gelten drei Mechanismen: (1) die Konsistenz des Vl (aufgrund seines konsequenten Drängens auf Fortsetzung des Verfahrens), (2) das schrittweise Vorgehen bei der Erhöhung des Schockniveaus: Während die ersten Schocks als harmlos erscheinen, schleicht sich zunehmend eine bedrohliche Gewalt ein, ohne dass eine Schwelle überschritten wird oder eine explizite Entscheidung für die unmenschliche Vorgehensweise gefällt wird (Effekt des Den-Fuß-in-die-Tür-Stellens, Foot-in-the-Door-Technik) und (3) die Tatsache, dass der prägende Anfangseindruck eines seriösen Wissenschaftlers spätere fragwürde Anweisungen als legitim erscheinen ließ (nach dem Motto: «Es dient der Wissenschaft»). Somit findet ein Missbrauch von Autorität statt. Es ist naheliegend anzunehmen, dass diese drei Mechanismen auch bei der Ausführung der Naziverbrechen wirksam wurden, wobei der letztgenannte nicht durch die Wissenschaft, sondern auf die faschistische Ideologie begründet wurde, der durch das Regime wiss. Züge attestiert wurden. Der Milgram-Versuch wurde 2006 mit geringen Abweichungen repliziert (Burger, 2009). Die Schockobergrenze wurde aus ethischen Gründen auf 150 Volt begrenzt. Wenn ein Lehrer diesen Schock erteilt hatte, wurde der Versuch abgebrochen. Zudem wurden die Teilnehmer mehrfach darauf hingewiesen, dass sie den Versuch jederzeit abbrechen konnten. Es ergab sich ein Autoritätsgehorsam von 70%, während das Niveau des Autoritätsgehorsams bei Milgram bei der Schockstufe von 150 Volt 82,5% betrug. Die Reduktion des Gehorsams in der Replikationsstudie ist stat. nicht signifikant. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Autoritätsgehorsam als Phänomen auch nach der Jahrtausendwende ein großes gesellschaftliches Problem darstellt.

Autoritätsgehorsam konnte auch in Experimenten zum administrativen Gehorsam aufgezeigt werden. Die Leistung eines Bewerbers – erneut ein Verbündeter des Vl – sollte durch die Versuchsteilnehmer willkürlich beeinträchtigt werden, indem sie 15 neg. Äußerungen machten (Meeus & Raaijmakers, 2006). Der Vl forderte die Versuchsteilnehmer zum Fortsetzen des Experimentes auf, wenn sie zögerten. 91% der Versuchsteilnehmer erwiesen sich als gehorsam, indem sie die 15 Störmanöver ausführten. Der hohe Prozentsatz des Autoritätsgehorsams in dieser Versuchsanordnung deutet darauf hin, dass es den Teilnehmern leichter fällt, psych. Gewalt auszuüben als physische. Der Autoritätsgehorsam verringerte sich, wenn hohe persönliche Kosten (Kosten-Nutzen-Kalkulation) induziert wurden, indem den Versuchsteilnehmern die juristische Haftung für ihr Störverhalten eindeutig zugeschrieben wurde.

Konformität und Autoritätsgehorsam sind verwandt, aber beide Konzepte lassen sich eindeutig voneinander abgrenzen. A. beruht auf einer hierarchischen Beziehung, die eine Befehlsausführung zur Folge hat, während Konformität durch Nachahmung unter gleichrangigen Personen zustande kommt. Außerdem wird Autoritätsgehorsam durch die gehorsamen Versuchsteilnehmer dadurch gerechtfertigt, dass sie die Verantwortung der Autorität zuweisen, während bei Konformität i. d. R. abgestritten wird, dass man sich hat beeinflussen lassen. Die Ergebnisse von Milgram verdeutlichen die Situationsabhängigkeit des Autoritätsgehorsams: die Situation entfaltet eine starke Dynamik, die von vielen Versuchsteilnehmern als Einfluss empfunden wurde, dem sie sich nicht widersetzen konnten. Der Autoritätsgehorsam wurde von Zimbardo (2008) unter dem Gesichtspunkt «wie gute Menschen sich dem Bösen zuwenden» behandelt.

Referenzen und vertiefende Literatur

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