autoritäre Persönlichkeit

 

[engl. authoritarian personality; franz. autoritaire Gehorsam fordernd, unterdrückend, lat. auctoritas Ansehen, Macht, Würde], [SOZ, PER], ein Muster von Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften (Persönlichkeitsmerkmal), die ein Potenzial für antidemokratische und faschistische Einstellungen und Verhaltensweisen bilden. Während die Facetten des autoritären Verhaltens und des Autoritarismus von vielen Autoren ähnlich beschrieben werden, unterscheiden sich die theoret. Erklärungen. Berühmt wurde das Forschungsprojekt zur Authoritarian Personality, das 1943 von dem Sozialpsychologen R. Nevitt Sanford zus. mit dem Psychiater und Psychologen Daniel J. Levinson und der psychoanalytisch ausgebildeten Psychologin Else Frenkel-Brunswik in Berkeley als Studie über Antisemitismus begonnen wurde. In dieser gemeinsam mit dem emigrierten «Frankfurter Institut für Sozialforschung» begonnenen «Berkeley Public Opinion Study» wurde Sanford 1944 Forschungsdirektor, gemeinsam mit dem Philosophen und Gesellschaftstheoretiker Adorno. Das Buch erschien verzögert erst im Jahr 1950, obwohl die meisten Manuskripte (ausgenommen das von Adorno) bereits Mitte 1947 fertig waren. Ins Dt. wurde das Buch, das nicht zuletzt mit Blick auf den Nationalsozialismus entstanden war, nie vollst. übersetzt. Nur in einer Fußnote wurden die wesentlichen Vorarbeiten von Wilhelm Reich und insbes. von Fromm über den autoritären Charakter erwähnt. Die amerik. Studie stützte sich hauptsächlich auf einen neu konstruierten Fragebogen, die California-F-Skala bzw. Faschismusskala (für implizite antidemokratische Tendenzen und Faschismuspotenzial), die sich aus mehreren Komponenten zus.setzt: (1) Conventionalism – Festhalten an Hergebrachtem, (2) Authoritarian Submission – Autoritätshörigkeit/-unterwürfigkeit, (3) Authoritarian Aggression – Tendenz, Verstöße gegen hergebrachte Werte ahnden zu wollen, (4) Anti-Intraception – Ablehnung des Subj., Imaginativen und Schöngeistigen, (5) Superstition and Stereotype – Aberglaube, Klischee, Kategorisierung und Schicksalsdeterminismus, (6) Power and Toughness – Identifikation mit Machthabern, Überbetonung der gesellschaftlich befürworteten Eigenschaften des Ich, (7) Destructiveness and Cynicism – allg. Feindseligkeit, Herabsetzung anderer Menschen, (8) Projectivity – Veranlagung, an die Existenz des Bösen in der Welt zu glauben und unbewusste emot. Impulse nach außen zu projizieren, (9) Sex – übertriebene Bedenken bzgl. sexueller Geschehnisse. Mit dem Fragebogen wurden mehr als 2000 Personen untersucht, außerdem nach Extremwerten gebildete kleinere Gruppen eingehend interviewt und mit dem Thematischen Apperzeptionstest (TAT)) untersucht. Der erwartete Zus.hang zw. Ergebnissen der F-Skala und jenen der AS-Skala (für Antisemitismus), der E-Skala (für Ethnozentrismus) und der PEC-Skala (für politisch-ökonomischen Konservatismus) wurde weitgehend bestätigt. Auch die Interviews zeigten dieses Muster, doch wurde die Übereinstimmung der versch. Methoden nicht genauer analysiert. Die Forschungsarbeit wird oft als große Pionierleistung der Sozialforschung betrachtet. Die Autoren verbanden die sozialpsychol. Einstellungsforschung mit der Differentiellen Psychologie, entlehnten zentrale Erklärungshypothesen der psychoanalyt. Theorie und bezogen außerdem soziologische Konzepte ein. Die breite empirische Studie stützt sich sowohl auf stat. als auch interpretierende Methoden und war Grundlagenforschung zur Erklärung des Faschismus mit politisch engagiertem Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen und auf die praktische Bedeutung für die demokratische Erziehung. Die fachliche Kritik richtete sich gegen die psychoanalytischen Erklärungsversuche, gegen die Skalenkonstruktion (Testkonstruktion), gegen die unzureichende Repräsentativität und fehlende Beobachtung des Verhaltens im Alltag. Es werde nicht hinreichend zw. der autoritären Persönlichkeit und dem gewöhnlichen Konservativismus unterschieden und der Autoritarismus existiere auch im linken Extrem politischer Einstellungen. Die Auseinandersetzung über die heterogenen Komponenten (Subskalen) und die relative Inkonsistenz der F-Skala dauern bis heute an, denn es handelt sich eher um ein Muster (Syndrom) verwandter Merkmale, die typ. sind, auch wenn u. U. einzelne fehlen können. Seitdem ist die Forschung über die autoritäre Persönlichkeit durch konkurrierende Erklärungsansätze (Robert Altemeyer, Richard Christie, Gerda Lederer und Peter Schmidt, John L. Martin, William Stone) geprägt, wobei auch der Wandel von tiefenpsychol., soziologischen bis zu sozial-kogn. Auffassungen sowie einer verhaltensnäher ausgerichteten Konzeption (Detlev Oesterreich, «Flucht in die Sicherheit», 1996) deutlich ist.

Aus psychoanalytischer Sicht (Psychoanalyse) bildet sich der autoritäre Charakter aus, wenn aggressiv-triebhafte und andere Bedürfnisse des Kindes durch elterliche Gehorsamkeitsforderungen zu stark unterdrückt und schließlich auf andere Menschen, sozial Schwächere oder Minderheiten gerichtet werden; aus soziologischer Sicht wird primär der Anpassungsdruck repressiver gesellschaftlicher Bedingungen und hierarchischer Strukturen verantwortlich gemacht; aus sozialpsychol. Sicht werden v. a. die von der Familie und anderen sozialen Bezugsgruppen übernommenen Denkmuster und Vorurteile hervorgehoben (autoritäre Persönlichkeiten wechseln unter Umständen ihre Ideologie, einige «kippen» sogar zw. rechtsextrem und linksextrem); entwicklungspsychol. kann eine misslingende Ablösung von den Eltern eine unzureichende Identitätsfindung bewirken, sodass eine autoritär strukturierte Abhängigkeit fortbesteht; aus Sicht der Differentiellen Ps. kann das Zus.wirken einer latenten Verhaltensbereitschaft (Disposition) und einer auch ideologisch «passenden» Auslösesituation im Alltag sowie das soziale Umfeld und dessen Wertorientierung verständlich machen, dass autoritäres Verhalten sich nicht einheitlich äußert. Erst die aktuelle soziale Situation bedingt, ob und wie sich Konformität und Gehorsam äußern, ob jemand sich den Überzeugungen und den Forderungen der Mehrheit bewusst zu widersetzen wagt.

In Dt. entstanden am Frankfurter «Institut für Sozialforschung IfS» zw. 1955 und 1971 drei Untersuchungen (Pollock, von Freyhold, Schönebach), jedoch keine wirklich innovative Forschungsrichtung und kein Transfer in die von Adorno 1966 geforderte «Erziehung nach Auschwitz». Bernd Six stellte 1967 fest, «das IfS habe nach seiner Rückkehr nach Dt. nie wieder die Bedeutung für die Autoritarismus-Forschung erlangt, die es in den USA hatte.» Wichtige sozialpsychol. Forschung zu dieser Thematik wurde weiterhin in den USA unternommen, u. a. das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment oder Erich Fromms Werk über die «Anatomie der menschlichen Destruktivität» (1974). Bereits im Jahr 1993 wies Jos D. Meloen 2341 Publikationen über die F-Skala aus.

Trotz der theoret. und meth. Kritik handelt es sich um ein wichtiges Konzept, und ausgeprägte autoritäre Persönlichkeiten sind überall zu erkennen: in Familien, in der Politik und im Alltag. Über die relative Verbreitung der autoritären Persönlichkeit, über rechts- und linksextremistische Einstellungen in Dt. informieren u. a. die «SINUS-Studie zum Rechtsextremismus» 1981 und die seit 1987 wiederholten Erhebungen von Wilhelm Heitmeyer über Rechtsextremismus und «Dt. Zustände».

Referenzen und vertiefende Literatur

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