Amnesie, dissoziative

 

[engl. dissociative amnesia; lat. dissociare trennen, spalten], [BIO, KOG], Gedächtnisstörungen können nach direkten Hirngewebsschäden auftreten, aber auch infolge psych. Einwirkungen. Kommt es zu einer Unfähigkeit, bedeutende persönliche Erlebnisse bewusst abzurufen, liegt meist eine dissoziative Amnesie-Erkrankung vor. Grundsätzlich sind dissoziative Amnesiezustände reversibel, wenngleich sie in manchen Fällen vermutlich lebenslang anhalten (Staniloiu, & Markowitsch, 2014). Betrifft die Amnesie die persönl. Vergangenheit und existieren mind. zwei distinkte Persönlichkeitszustände, spricht man auch von einer dissoziativen Identitätsstörung. Die Pat. leiden unter ihrer Erinnerungsunfähigkeit und diese hält auch (im Ggs. zur transienten globalen Amnesie) länger als einen Tag an. Ursache ist i. d. R. eine psych. Ausnahmesituation (Erleben eines stresshaften oder traumatisierenden Ereignisses; Posttraumatische Belastungsstörung). Unmittelbare Auslöser können dabei aber auch akute Schädel-Hirn-Traumata oder andere somatische Ereignisse sein. Insofern finden sich für dieses Krankheitsbild, das immer noch häufig als psychogene Amnesie bez. wird, ähnlich wie bei der transienten globalen Amnesie sowohl psych. also auch somatische Trigger, also unmittelbare Auslöser. Hintergrund ist aber i. d. R. eine stressreiche Kindheit oder Jugend oder stressreiche Erlebnisse in der Vergangenheit, die psych. nicht bewältigt wurden. Als Mechanismus stellt man sich eine Dissoziation, also ein Auseinanderlaufen der emot. und faktenbezogenen Anteile der persönlichen Erinnerungen vor, d. h., Hirnregionen wie Amygdala und Hippocampus/Neokortex arbeiten nicht mehr synchron (Gehirn). Dies führt dann dazu, dass Erinnerungen nicht mehr als einheitliche Episoden auf Hirnebene integriert («zusammengebaut») werden können. Da die Erinnerungen zurückkommen können und Nachweise über vorhandene, unbewusst repräsentierte Erinnerungen über versch. Methoden (Hypnose, Hautleitfähigkeitsänderungen, «Wahrheitsdroge» (Barbiturate), Suggestion) gelingen können, ist es eigentlich unangebracht, von (dissoziativer) Amnesie zu sprechen. Deswegen wurde der Terminus mnestisches Blockadesyndrom vorgeschlagen (Markowitsch et al., 2000), insbes. auch, weil mittels funktioneller Hirnbildgebung (z. B. Glukose-Positronen-Emissions-Tomografie) gezeigt werden kann, dass im Zustand der Gedächtnisblockade auch der Hirnstoffwechsel massiv vermindert ist und nach erfolgreicher Therapie und Rückkehr der Erinnerungen der Glukose-Stoffwechsel im Großhirn wieder normal ist (Markowitsch et al., 2000). Abwandlungen der dissoziativen Amnesie sind die dissoz. Identitätsstörung, die d. Fugue (Verlassen der gewohnten heimatlichen Umgebung, Drang «weit weg» zu sein; im DSM-5 unter dissoziativer Amnesie subsumiert) und neuerdings mehrfach berichtet, auch eine anterograde Form der psych. bedingten Amnesie, bei der die Vergangenheit weitgehend erhalten ist, dagegen eine bewusste Neueinspeicherung von Erlebnissen nicht mehr gelingt. Interessant ist bei dem Krankheitsbild der dissoziativen Amnesie auch die Diskrepanz zw. meist vorhandenem Faktengedächtnis (Wissensgedächtnis, semantischem Gedächtnis) und häufig weitreichendem Ausfall der persönlichen Biografie. Auch wurde seit der wiss. Beschreibung der ersten Fälle von einer immer wieder zu beobachtenden Teilnahmslosigkeit (belle indifference) gegenüber dem eigenen psych. Zustand berichtet. In den letzten Jahren scheint die Prävalenz solcher Pat. anzusteigen. Der Verlauf der Krankheit ist schwer vorherzusagen, sowohl was völlige oder teilweise (Spontan-)Erholung, Therapiefähigkeit und Ausbrechen weiterer dissoziativer Krankheitsbilder (Konversionsstörung, psych. bedingte sensorische oder motorische Beeinträchtigungen) angeht. Immer wieder stellt sich die Frage nach der Abgrenzbarkeit von Simulation, aber inzw. auch die nach mögl. Zus.hängen mit alterskorrelierten demenziellen Erkrankungen (Demenz; Staniloiu & Markowitsch, 2010).

Referenzen und vertiefende Literatur

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